Von Sendai nach Sapporo
Füße hoch statt Nudelkampf
Für den Tag nach Nikko hatte ich eigentlich geplant, zum Nudelwettessen nach Iwate zu fahren. Aber ich fühlte mich nicht unbedingt in Kampfesser-Stimmung und deswegen habe ich nach all den Tagen mit ordentlich Programm einfach mal einen Ruhetag eingelegt. Ich bin ein bisschen durch die Gegend gelaufen, habe Fotos sortiert und Blogbeiträge geschrieben, im Kaffee gesessen und Schlaf nachgeholt. Von Sendai habe ich nichts Besonderes gesehen. Aber die Lage ist schön zentral und das Baseball-Team möchte diese Saison einen Neustart wagen.
Nächster Halt: Hokkaido!
Da es nicht mehr lange hin war bis Halloween, wurde es Zeit, nach Hokkaido zu reisen. In der Herkunftsregion der ikonischen Kürbisse geht doch bestimmt einiges in Sachen Halloween-Unfug. Schade nur, dass mir Halloween wirklich vollkommen wurscht ist. Aber Hokkaido wollte ich immer schon mal sehen. Und wir wollen nicht vergessen: Die Reisezeit im Herbst habe ich nicht nur gewählt, um der mörderischen Sommerhitze Japans zu entfliehen. Nein, ich wollte die nach der Kirschblütenzeit zweitschönste Zeit in Japan erleben: Die des Herbstlaubes. Dank Greta und ihrem bekloppten Klimawandel ist die Vorhersage leider seit einigen Jahren sehr schwer geworden. Mittlerweile findet die Hauptzeit der bunten Blätter mehrere Wochen später als früher statt. Aber auch nicht zuverlässig. Das ist mit einer der Gründe, warum ich so wild von Nord nach Süd durch das Land reise. In der Hoffnung, irgendwo mal einen Ort mit bunten Blättern erwischen zu können.
Endlich wird es orange-rot
In Nikko hatte es ja bereits einen ersten, kleinen Vorgeschmack gegeben. Und im Internet hatte ich gelesen, dass Hokkaido wohl schon vor einigen Tagen den Höhepunkt erreicht haben soll. In Hakodate, dem ersten größeren Ort auf Hokkaido, in dem man den Shinkansen wechselt, war es dann unverkenntbar. Ich habe Herbstlaub in Japan gesehen. Das unterscheidet sich wenig überraschend erstmal nicht von unserem Herbstlaub. Blätter werden gelb, Blätter werden rot, Blätter werden braun, Blätter fallen ab. Was ich dann allerdings in Sapporo gesehen habe, war schon recht beeindruckend. Ich hoffe, die folgenden Bilder geben das einigermaßen wieder.
Erstmal ging es von Hakodate weiter in Richtung Sapporo. Der Shinkansen auf Hokkaido ist eher ein besserer Regionalzug, aber umso mehr kann man die Reise durch die bunten Blätterwälder genießen. Landschaftlich sind wir hier eher in Nordeuropa. Alles ist etwas weniger grün, etwas wilder und schroffer. Und trotz angenehmer Temperaturen weht ein kühler Wind. Ich habe versucht, ein paar Videos aus dem Zug zu filmen. Die meisten sind leider in der Kategorie "Japans schönste Lärmschutzwände und Tunnel" gelandet. Ich häng hier trotzdem mal was rein.

Willkommen in Sapporo!
Und nach sechs Stunden Zugfahrt, etwa 800 zurückgelegten Kilometern, habe ich dann Sapporo erreicht. Die Stadt ist nett, hat ein bisschen mehr was von einer Industriestadt, aber mit viel Charme. Und die Japaner sehen hier tatsächlich ein wenig anders aus. Man merkt deutlich den Inuit-Anteil (für die Leser ohne Schulabschluss: Eskimos!). Ähnlich wie bei den Ryukyus auf Okinawa (Shuri Castle... 😢😢😢) schämen sich die meisten Japaner wohl leider dafür, viel zu stark ist der Gleichheitsdrang. Ich mag es gerne und freue mich über die Leute, die das hier mit Stolz zeigen.
Sapporo liegt auf dem selben Höhengrad wie Wladiwostok, etwa 700 Kilometer weiter östlich. Das Wetter auf Hokkaido wird tatsächlich stark von Russland beeinflusst (wie die Wahlen in den USA). Die japanischen Alpen teilen Japan grob in zwei Klimazonen. Und während der Südwesten Japans auch im Winter noch durch den an Australien abprallenden Golfstrom mit sehr mildem Klima gesegnet ist, sorgt ein, äh, Gesäuge (Kachelmann, hilf!) an den Alpen dazu, dass viel Luft aus dem Nordosten angesaugt wird. Die fehlt dann natürlich und zieht deshalb extrem kalte Luft aus Sibirien nach Nordjapan. Das ist mit einer der Gründe, warum der Norden Japans die schneereichste Region der Welt ist. Auf Hokkaido kann der Schnee schon mal zehn Meter hoch werden. Man kennt vielleicht die lustigen Bilder von den Schneewänden neben den Straßen. Jetzt ist aber zumindest abseits der Berggipfel noch nichts mit Schnee. Ich hoffe stattdessen auf Herbstlaub.
Und es ist vielleicht ein Herbstlaub in der Stadt! Herrlich! Da es vom Bahnhof nur wenige hundert Meter zu meinem Hotel sind und ich den ganzen Tag schon herumgesessen habe, laufe ich den Weg. Ich komme dabei schon an diversen Sehenswürdigkeiten vorbei. Hier ist das meiste angenehm nah beieinander, das gefällt mir. Genau wie das Hotel, an dem ich nur einen einzigen echten Nachteil finden kann: Immer noch keine beheizte Klobrille auf dem Zimmer. Trotzdem schön und nach einem kleinen Zug um die Häuser ist es auch schon stockdunkel. Die Sonne geht hier aktuell um 16:30 Uhr unter. Naja, dann halt mal früh ins Bett. Morgen wird bestimmt wieder ein anstrengender Tag.
Der erste Tag in Sapporo
Und weil das hier ja sonst ein etwas dünner Beitrag ist, gibt es den nächsten Tag auch noch. Einen ausgefeilten Plan hatte ich nicht, aber einige interessante Dinge im näheren Umfeld. Mein Hotel lag direkt am Odori Park. Der ist recht schmal, dafür aber anderthalb Kilometer lang und bildet sowas wie das Herzstück der Stadt. Da im Innenstadtbereich alles rechtwinklig angelegt ist (Die Straßen sind ähnlich wie in Manhattan durchnummeriert), besteht also auch der Odori Park aus einer Menge kleiner, langgezogener Rechtecke. Im Osten befindet sich der Fernsehturm von Sapporo, aber der wird erstmal ignoriert. Ich möchte mich in Richtung des Campus der Hokkaido University bewegen. Der soll nämlich ganz schön sein.
Freche Raben
Vorher gibt es aber erstmal noch ein kleines Frühstück. Lecker Sandwich und Onigiri auf einer Bank im Park. Im Park sind Menschen nur geduldet. Den Ton geben hier die Raben (vermutlich Kolkraben) an. Die sind verdammt groß und haben mächtige Schnäbel. Mehrfach konnte ich beobachten, wie Menschen vor ihnen davongelaufen sind (ausnahmsweise echt kein Witz, unten gibt es Beweisfotos!). Mir wollte auch einer ans Sandwich, aber dafür braucht es schon etwas mehr als einen großen Schnabel. Der Park ist aber wirklich schön. Jedes der Rechtecke hat einen eigenen Charakter. Einige bestehen größtenteils aus Wiese, einige haben einen großen Springbrunnen, es gibt Kunstwerke und Kinderspielplätze. In einem steht sogar ein Maibaum, warum auch immer. Und überall säumen Bäume in herrlichstem Herbstlaub die Wege. Nach wenigen Minuten habe ich eigentlich schon genüg Rot-Gelb-Orange gesehen.
Herbstslaub im Überfluss
Auf dem Weg zum Campus komme ich am ehemaligen Regierungsgebäude Hokkaidos vorbei. Das Gebäude ist ein sehr schicker, roter Backsteinbau aus dem 19. Jahrhundert. Und davor befindet sich ein kleiner, aber ziemlich spektakulärer Park. Der Park ist voll von Menschen, die mit Smartphones und dicken Kameras ausgestattet auf die Jagd nach den besten Herbstmotiven gehen. Ich spiele auch locker anderthalb Stunden mit. Es gibt wirklich eine Menge toller Motive. Hier werde ich erneut Zeuge, wie ein Rabe zwei junge Damen verscheucht. Außerdem findet vor dem Regierungsgebäude ein Hochzeitsshooting statt. Wo bekommt man sonst für null Eintritt so viel Programm geboten? Ein ganzer Stapel Fotos dazu wie gehabt am Ende des Artikels.
Einige der Detailaufnahmen des Herbstlaubs sind wirklich schick geworden. Deswegen gibt es hier ein schickes Smartphone-Wallpaper. Exklusiv nur hier, handgeschossen und aus Sapporo. Wenn das mal kein cooler Service ist!
Herbstlaub, Herbstlaub, Poperbstlaub!
Der Campus der Uni ist tatsächlich prima. Das Areal ist extrem weitläufig und die einzelnen Fakultätsgebäude stammen aus den unterschiedlichsten Zeiten. Dazwischen mischen sich diverse historische Gebäude und mehr als genug Platz zum Flanieren, rumhängen, konzentrieren. Die Universität hat tatsächlich schon einiges an Geschichte und gehört zu den besten Japans. Und man hat sich das Ziel gesteckt, zu den besten 100 der Welt zu gehören. Der Campus gehört da schonmal rein, finde ich. Es fahren auch so gut wie keine Autos und wenn, dann haben Fußgänger eigentlich immer Vorrang. Wäre das doch nur überall so. Und dass ich mal freiwillig eine Uni besuche und es mir dann auch noch dort gefällt, hätten sicherlich auch nicht viele gedacht. Das Publikum ist sehr gemischt. Neben vielen Studenten auch einiges an Touristen und eine Menge alte Omis, die im Kaffee hocken und gemeinsam irgendeinen Quatsch an ihren Smartphones machen.
Die gelbe Straße
Der Hauptstraße über den Campus folgend gelange ich an eine Kreuzung, an der ordentlich Action ist. Auf einem Pulk stehen dutzende Leute mit ihren Fotogerätschaften bewaffnet. In der Querstraße wird mit Bändchen fast durchgängig das Überqueren unterbunden. Und überall stehen Security-Leute herum, die teils mit Megaphon Leute von der Straße scheuchen. Das ist Ginkgo Avenue im Herbst. Die Straße ist eine prächtige Ginkgo-Allee, die Äste der Bäume wachsen in der Straßenmitte formschön ineinander. Und im Herbst wird dann alles gelb. Da kann niemand das Fotografieren lassen. Ich bin natürlich auch ordentlich dabei. Zwischendurch dachte ich, ich wäre in einen fiesen Haufen Hundescheiße getreten. Aber entweder war es unsichtbare Kacke oder der Geruch musste woanders herkommen. Und tatsächlich, es sind die gelben Biester! Gefallenes Ginkgolaub riecht wie eine Mischung aus alten Sportsocken, Kotze und Kacke. Wundervoll! Schade, dass es noch kein Geruchsinternet gibt. Ich hätte sonst auch diese Erfahrung gerne geteilt. Es sind übrigens wohl nur die Blätter der weiblichen Ginkgobäume, die so übel riechen. Ich sag mal so: Wen wundert's!
Wer jetzt immer noch nicht genug Herbstlaub gesehen hat, kann sich am Ende des Artikels noch ein paar Schubkarren abholen. Ich bin quer über den Campus gelaufen und habe geschaut, was am anderen Ende so los ist. Antwort: Nicht so viel. Gen Norden wird es deutlich unspektakulärer und irgendwann endet der Campus an einer Stadtautobahn. An der bin ich dann entlang zurück zum Odori Park. Auf der Karte hatte ich gesehen, dass ich so an einer Rennbahn vorbei kommen sollte. Was da wohl los ist? Nix! Auf der Seite, von der ich an die Rennbahn kam, war nur eine fünf Meter hohe, graue Mauer. Das umschlossene Gebiet war so groß, dass ich keine Lust hatte, einmal drumherum zu laufen. Eine kurze Recherche ergab, dass es eh nur eine doofe Pferderennbahn war. Pferde-Sashimi bekomme ich ja vielleicht noch in Kagoshima.
Also habe ich lieber die eigenen Zügel in die Hand genommen und bin gen Park galoppiert. Es war immerhin schon nach drei, bald geht die Sonne unter. Von Westen schob sich dann zusätzlich noch ein breites Wolkenband über die Sapporo umgebenden Berge, was für eine noch frühere Dämmerung sorgte. Ich musste noch einige Kilometer fressen. Schließlich musste ich ja nicht nur zurück zum Odori Park, sondern den dann noch einmal komplett von West nach Ost durchqueren. Und weil es da bestimmt was zu gucken gibt, war U-Bahn keine Option. Es hat sich auch durchaus gelohnt, allerdings war der Fernsehturm dann deutlich unspektakulärer als erhofft. Er sieht ein bisschen aus heruntergekommene Bruder des Tokyo Towers. Unter dem Turm erinnert eine etwas lieblose Anordnung von Hokkaido-Kürbissen daran, dass ja bald Halloween ist. Oh, Schreck! Ich habe mir ja noch gar keine Gedanken um mein Kostüm für dieses Jahr gemacht. Was soll ich nur anziehen? Und was wird Heidi tragen? Die Antwort auf beide Fragen gibt wie so oft der große Sportphilosoph Oliver Kahn: "Das ist mir scheißegal."
Der alte Uhrenturm
Weil der Fernsehturm weniger hergab als erhofft, war also noch etwas Zeit für eine weitere Sehenswürdigkeit. Direkt um die Ecke steht der alte Uhrenturm von Sapporo. Der ist nicht nur schon sehr alt, er hat auch viel Bedeutung für die Stadt. Er wurde im Jahr 1871 - wenige Jahre nach Gründung Sapporos - als Halle für militärische Übungen der Landwirtschaftsschule (die kurze Zeit später zur Universität Hokkaido werden sollte) erbaut. Das Gebäude ist im damals im mittleren Westen der USA beliebten Kolonialstil gebaut. Und erstaunlich für Japan: Bisher keinem Brand zum Opfer gefallen. Unter anderem weil es mal während eines Großfeuers in Sapporo von den Studenten der Universität sehr aktiv geschützt wurde. Siehe das Bild vom Gemälde weiter unten. Im Gebäude ist ein kleines Museum, das die Geschichte des Turmes erzählt und seine Bedeutung für die Stadt erläutert. Ist jetzt nichts Besonderes, aber zum Einen stehen die Einwohner Sapporos wohl wirklich sehr auf ihren Uhrenturm. Und zum Anderen liegt der schon echt lustig. Mitten zwischen Hochhäusern in allerbester Lage steht so ein wie aus der Zeit gefallenes Häuschen. Für mich war es der gelungene Abschluss eines bunten, schönen Tages
Bildergalerie
Kommentare
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Am 06. November, 01:40 Uhr (Japan), 05. November, 17:40 Uhr (Deutschland)Was für wunderschöne Farben! Deine nächste Reise nach Japan musst du dann zur Kirschblütenzeit machen. Das muss auch herrlich sein.Am 06. November, 11:54 Uhr (Japan), 06. November, 03:54 Uhr (Deutschland)Ja, das ist der Plan. Ein Picknick unter Kirschblüten und nach Shikoku muss ich. Dann habe ich alle Hauptinseln gesehen.