Der Himmel weint über Fukushima
はじめまして!Fukuppyです。
Beginnen wir auch ein ernstes Thema ruhig wie gehabt mit schlechten Witzen. Nach dem schrecklichen Unglück in Fukushima versuchte eine Firma namens Fukushima Inc. das Image des Namens ein wenig aufzubessern. Das macht man in Japan nicht mit Lobbyarbeit, sondern mit Maskottchen. Also wurde eine Agentur beauftragt und für eine Handvoll Koks gab es ein Ei mit Flügeln und roten Schuhen. Und einem internationalen Namen: Fukuppy. Und niemand hat vor der Bekanntgabe gedacht, dass das vielleicht für Spott sorgen könnte. Auf der Arbeit ist Fukuppy deshalb schon seit einiger Zeit das Maskottchen unseres Incident Logs. Die Firma hat sich schon vor Jahren für das Missgeschick entschuldigt. Aber das Internet vergisst ja nur die langweiligen Sachen. Wer ein bisschen mehr über die verrückte Welt japanischer Maskottchen erfahren möchte, schaut mal hier rein.
Auf nach Odaka!
Natürlich hatte ich eine Reise nach Fukushima schon länger im Hinterkopf. Ich dachte aber, dass das eventuell gar nicht so einfach ist. Konkreter wurde es, als ich die Folge Dark Tourist über Fukushima auf Netflix gesehen habe. Was macht man, wenn man keine Angst vor radioaktiver Strahlung... Äh, wenn man halbwegs weiß, wie das mit der Radioaktivität funktioniert? Einfach mal im Internet nachschauen. Und da gibt es mehrere Anbieter entsprechender Touren, von denen nicht alle unbedingt den seriösesten Eindruck machen. Geigerzähler gegen Aufpreis, ich weiß ja nicht. Ich entschied mich für das in meinen Augen seriöseste Angebot von Real Fukushima. Das war vermutlich eine gute Wahl. Dazu und zu Dark Tourist später mehr.
Treffpunkt für unsere Tour war um 12 Uhr im Niemansland, am Bahnhof von Odaka. Dieser ist über die Joban Line zu erreichen, einer lokalen Bimmelbahn, die bis zum Unglück von Fukushima Tokio und Sendai verbunden hat. Die Linie führt allerdings durch das Sperrgebiet und somit erreicht man Odaka nur von Sendai. Was schließlich der Grund ist, weshalb ich Sendai zu meinem Reiseknotenpunkt for Tohoku gemacht habe.
Ich war also wie gehabt ganz gut vorbereitet. Allerdings dachte ich mir, frage ich doch zur Sicherheit nochmal am Hauptbahnhof von Sendai nach meiner Verbindung. Die junge Dame am Schalter war verwirrt. Odaka Station? Nie gehört. Gibt's denn das? Kurz mit der Kollegin gequatscht, Schulterzucken. Also holt sie ein telefonbuchdickes Buch hervor und sucht. Ah, Odaka Station! Da, das gibt's. Ja, Joban Line. Der Zug fährt alle zwei Stunden und kommt um 11:57 Uhr an. Also besser nicht verpassen.
Mit der Bummelbahn nach Odaka
Der Wetterbericht kündigte ab Mittag Regen an, schnell noch den Regenschirm einpacken und dann ging's auch schon los. Durch eine Landschaft grau in grau bummelte ich die Westküste herunter. Nach zwei Drittel der Strecke musste ich umsteigen, von der Joban Line in die Joban Line. Warum nur? Naja, egal. Das Umsteiggleis war natürlich schnell gefunden. Was für ein Aufwand für ein kaputtes Atomkraftwerk. Außer mir saß noch eine Handvoll Japaner im Wagen, die mich irritiert anschauten. Was macht denn die Langnase hier? Und als wir dann endlich Odaka erreichten, war ich alleine im Wagen. Na, das kann ja heiter werden. Einen Treffpunkt hatten wir nicht ausgemacht. Vermutlich wird es aber nicht so schwer, sich dort zu finden.
Willkommen in Odaka, am Ende der Welt
Ich habe habe es tatsächlich geschafft. Was mich nun wohl erwartet? Außer mir stieg noch ein älterer Herr und ein Asiate aus dem Zug. Es stellte sich heraus, dass sie ebenfalls Sperrgebiets-Touristen waren. Der ältere Herr kam aus Australien, sein Begleiter aus Südkorea. Sie treffen sich seit einiger Zeit schon jedes Jahr für zwei Wochen Urlaub in Japan. Im Bahnhofsgebäude hielten sich neben dem Bahnbediensteten noch zwei Person auf: Unser Tourguide Karin (das ist lustigerweise auch in Japan ein weiblicher Vorname). Und ein britischer Professor, der schnell vor dem Brexit noch ein paar EU-Gelder auf den Kopp hauen muss (Hat er gesagt, nicht ich!). Und damit war unsere kleine Reisegruppe auch schon vollzählig.
Und pünktlich zum Beginn der Tour begann es zu regnen. Zum Glück hatte ich an meinen Regenschirm gedacht. Weil es draußen so ungemütlich war, gab es die Einführung im Bahnhofsgebäude. Erstmal erhielt jeder Teilnehmer ein Dosiometer. Das sollte während der Tour messen, welcher Strahlung wir ausgesetzt waren. Uns wurde erklärt, wie das mit der Strahlung so funktioniert und wie viel Strahlung man an unterschiedlichen Orten ausgesetzt ist. Für unsere Tour war davon auszugehen, dass wir etwa so viel Strahlung wie eine Röntgenuntersuchung beim Zahnarzt ausgesetzt werden. Da ich seit Jahren nur sehr unregelmäßig zum Zahnarzt gehe, kann ich mir das locker leisten. Einen Geigerzähler haben wir natürlich auch dabei - ein ganz modernes Teil inklusive Smartphone-App.
Die Sicherheitsbelehrungen bestanden größtenteils aus Hinweisen, was an Dark Tourist alles eine schlechte Idee gewesen sei. Als da wäre: Die Tour in Dark Tourist ist komplett Fake gewesen. Im Sperrgebiet waren sie ebenfalls nicht, zumindest nicht offiziell. Denn Tourismus dort gar nicht gestattet. Unser Ausflug war deshalb auch offiziell eine Studienreise. Wir bekamen deshalb auch einen ganzen Stapel an Papieren mit wirklich interessanten Informationen. Und unsere Tour ist derzeit die einzige Tour, die von der Präfekturverwaltung Zutritt in's Sperrgebiet bekommt.
Die schlechteste Idee von Dark Tourist: In Gebäude gehen. Erstmal gehört sich das nicht, da die Gebäude ja immer noch Leuten gehören. Und entsprechend ist das juristisch dann auch als Einbruch zu werten, selbst wenn man nichts stielt (ohne dass ich jetzt wirklich Ahnung hätte, wie das in Japan geregelt ist). Und schließlich ist das in Sachen Strahlung nicht ungefährlich. In Gebäuden kann sich die Strahlung teils deutlich länger halten und wenn man nicht aufpasst, bekommt man dort eine ordentliche Dosis ab
Also wichtig: Wir gehen in kein Gebäude rein. Und zumindest im Sperrgebiet machen wir nur Fotos an Stellen, an denen wir es erlaubt bekommen. Hintergrund sind auch hier die Eigentümer: Die Menschen haben das Gebiet innerhalb von Minuten verlassen müssen und durften seither nicht zurückkehren. Viele Gebäude sind außerdem in verheerendem Zustand, teils schwer vom Tsunami zerstört oder über die Jahre verfallen. Der Respekt vor den Opfern wird mehrfach betont. Wir sollen nicht vergessen, dass dort viele Menschen gestorben sind. Und deswegen bittebitte auch keine Selfies schießen. Das sagen sie natürlich nicht ohne Grund. In den zwei Jahren, die sie die Tour jetzt veranstalten, ist das tatsächlich schon vorgekommen.
Interessant auch: Genau zu dem Thema arbeitet der Engländer gerade an einem Paper. Wie sich Menschen an Orten verhalten, an denen grausame Dinge geschehen sind. Er hat zwei Tage an der Atombombenkuppel gesessen und die Leute beobachtet. Sein Fazit kurz zusammengefasst: Diese frechen, jungen Leute verhielten sich erstaunlich respektvoll. Viele wussen nicht so recht, wie sie sich verhalten sollen. Aber den Selfiestick zog niemand hervor. Es waren eher Familien, die sich im Vorbeigehen schnell zum Gruppenfoto aufstellten und dann gemütlich Eis schleckend weiterzogen. Hätte ich jetzt auch nicht gedacht.
Die Dreifachkatastrophe
Schließlich gab es noch einen kurzen Überblick über die Katastrophe. In Fukushima nennt man sie gerne "die Dreifachkatastrophe". Am 11. März 2011 kommt es etwa 130 Kilometer östlich der Küste Sendais zu einem Seebeben. Mit einer Magnitude von 9,1 ist es das viertstärkste Erdbeben seit Beginn der Messungen um 1900 (und geschätzt seit 1500). Das Beben hat Teile Nordjapans 2,4 Meter nach Osten verschoben. Ein Bereich von etwa 400 Kilometern an der Pazifikküste Japans sank um ca. 60 cm ab, drei Jahre später ist sie jedoch wieder auf dem vorigen Niveau und sogar etwas darüber. Die Erdachse verschob sich um geschätzt 10 bis 24 cm. Tage auf der Erde sind seit dem Beben 1,8 Mikrosekunden kürzer.
Die erste Katastrophe löst die zweite aus: Einen Tsunami, der auf dem Meer Wellen von 40 Meter Höhe verursacht. Acht Minuten nach dem Beben erreichen die Wellen mit einer Geschwindigkeit von 700 km/h Sendai. Die Wellen reichen bis zu zehn Kilometer weit ins Land, überschwemmen eine Fläche von etwa 500 Quadratkilometern. 700.000 Gebäude werden teilweise, 120.000 davon vollständig zerstört. Knapp 19.000 Menschen sterben.
Der dritte Akt: Mit etwa 14 Meter hohen Wellen prallt der Tsunami auf das an der Küste gelegene Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Aber hier wird es mit den Informationen etwas schwierig, denn diese stammen fast vollständig von der Tokyo Electric Power Company (TEPCO), die sich während und nach dem Unglück alles andere als mit Ruhm bekleckert haben. Bereits vor der Katastrophe mehrten sich Hinweise auf Risiken des Reaktortyps, spezielle Probleme des Reaktors in Fukushima sowie Warnungen vor mangelnder Sicherheit bei Erdbeben und Tsunamis. TEPCO ignorierte diese einfach.
Während der Katastrophe waren nur die ersten drei von sechs Blöcken in Betrieb. Die Brennstäbe aus Block 4 befanden sich aufgrund von Wartungsarbeiten im Abklingbecken. 5 und 6 waren bereits wieder bestückt, aber noch nicht wieder in Betrieb. Seismographen verursachten Sekunden nach dem Beben eine Schnellabschaltung der sich in Betrieb befindlichen Blöcke 1 bis 3. Das Beben dauerte etwa zwei Minuten bei einer Magnitude von 9,0. Aufgrund des Bebens fiel die Stromversorgung des Kraftwerkes aus, zwölf der 13 Notstromaggregate starteten.
Etwa 50 Minuten nach dem Beben traf der Tsunami auf das Kraftwerk. Angeblich war es nicht an das Tsunami-Warnsystem angeschlossen. Was aber wohl auch egal gewesen wäre. Die Tsunami-Schutzmauern waren nur 5 Meter hoch (vorgeschrieben waren 3). Alle Reaktorblöcke wurden um mehrere Meter vom Tsunami unterspült. Die Meerwasserpumpen wurden vollständig zerstört. Nun konnte das für die Notkühlung benötigte Wasser nicht mehr ins Meer abgepumpt werden und die Reaktorblöcke liefen voll. Bis auf einen Diesel-Notstrom-Generator befanden sich alle unterhalb der Reaktorblöcke. Sie liefen mit Kühlwasser voll und fielen kurze Zeit später aus.
TEPCO hatte viel zu wenig Mitarbeiter für einen Notfall vor Ort. Andere Firmen zogen ihre Mitarbeiter ab. Schäden an mehr als nur einem Reaktorblock waren nicht geübt worden. Das Katastrophenzentrum, das in so einem Fall die Maßnahmen koordinieren sollte, war ebenfalls an das Stromnetz des Kraftwerkes angeschlossen und nach dem Stromausfall vollständig handlungsunfähig.
Hastig herbeigeschaffte Generator-Fahrzeuge blieben aufgrund der Straßenschäden und Evakuierungs-Staus auf dem Weg zum Kraftwerk stecken. Arbeiter versuchten, mit tragbaren Generatoren und Autobatterien Schlimmeres zu verhindern. Die Werkfeuerwehr versuchte, so viel Wasser wie möglich einzubringen. Es wurde sogar Wasser aus Hubschraubern auf die Blöcke abgeworfen. Alle Einwohner im Umkreis von 10 Kilometern um das Kraftwerk wurden aufgefordert, umgehend das Gebiet zu verlassen.
In den nächsten Tagen schaute ganz Japan und Teile der Welt zu, wie TEPCO versuchte, die Lage in den Griff zu bekommen. Aber auch sie konnten nicht verhindern, dass es in mehreren Blöcken zu Wasserstoffexplosionen und Kernschmelzen kam. Dadurch landete hochradiokatives Material auf dem Gelände des Kraftwerkes und durch die Explosionen in der Luft. Es dauerte gut eine Woche, bis die Blöcke einigermaßen unter Kontrolle waren.
Schnell war klar, dass TEPCO den Reaktor vollständig aufgeben wird. Mittlerweile hat man vor, den gesamten Reaktor zurückzubauen und nicht wie in Tschernobyl stehen zu lassen. TEPCO rechnet, dass alleine dieses Vorhaben etwa 30 bis 40 Jahre dauern wird. Apropos Tschernobyl: Man geht davon aus, dass es in Fukushima nur 10 bis 20 Prozent der radioktiven Emssionen wie in Tschernobyl gegeben haben dürfte. Dennoch ist das Unglück neben Tschernobyl das einzige, das jemals die INES-Einstufung 7 ("Katastrophaler Unfall") erhalten hat.
Die Tour beginnt
Nachdem wir nun in etwa Bescheid wussten, was die Region hier vor acht Jahren getroffen hat, ging es los. Vom Bahnhof zum Auto waren es nur etwa 50 Meter, aber dennoch war ich froh, meinen Regenschirm dabei zu haben. Unsere Australier waren nicht so gut vorbereitet und schon von den paar Metern ordentlich erwischt worden. Amateure! Also erstmal ein bisschen durch Odaka kurven. Unser Guide Karin wohnt direkt neben dem Bahnhof und betreibt dort eine kleine Pension. Sie kommt nicht von hier und hat während der Katastrophe auf den Philippinen gelebt. Es wird nicht so ganz klar, war sie antreibt. Sie sagt, sie möchte der Welt zeigen, was in Fukushima passiert ist und warum Atomkraft zu den aktuellen Konditionen keine so richtig gute Idee ist. Aber natürlich geht es auch um Geld. Allerdings ist sie wirklich nett und man merkt ihr an, dass ihr die Sache wichtig ist.
Odaka liegt in der grünen Zone. Das heißt, ehemaliges Sperrgebiet. Das Sperrgebiet ist in drei unterschiedliche Farbbereiche eingeteilt: Grün bedeutet, dass hier die Menschen schon wieder wohnen dürfen. Orange bedeutet, dass man das Gebiet ohne Erlaubnis betreten, aber hier noch nicht wieder permanent leben darf. Und Rot ist schließlich das Sperrgebiet, in dem jeder Zugang abgesperrt ist, und das man nur mit Genehmigung bis Einbruch der Dunkelheit betreten darf.
Odaka ist bereits seit einigen Jahren wieder freigegeben. Dennoch sind bisher nur etwa 2.000 der ehemals 15.000 Einwohner zurückgekehrt. Es herrscht eine gespenstige, surreale Atmosphäre im Ort, die durch den nun immer kräftiger werdenden Regen verstärkt wird. Viele der Evakuierten haben anderswo ein neues Leben begonnen. Den Start dafür hat TEPCO ihnen relativ gut bezahlen müssen.
In Japan sind Häuser keine großartige Geldanlage, sie werden meist nur für eine Generation gebaut und danach abgerissen und dann neu gebaut. Die Anlage ist also nur das Grundstück. Verkauft man sein Grundstück, verlässt man es in der Regel "besenrein", sprich: Ohne Haus drauf. TEPCO muss allen Hausbesitzern auf Wunsch den Abriss des Gebäudes zahlen. Und ihnen wenn gewünscht auch das Grundstück zu vor der Katastrophe üblichen Preisen abkaufen. Das hat auch dazu geführt, dass Odaka jetzt mehr aus Grundstückzahnlücken als bewohnten Häusern besteht. Und schließlich haben viele Menschen auch schlicht Angst, in die ehemalige Sperrzone zurückzukehren. Nach den Böcken, die TEPCO hier geschossen hat, kann ich das nachvollziehen.
Persönliche Eindrücke
Angst kennt der Typ, den wir an unserer ersten Station treffen, nicht. Wir besuchen einen 94-jährigen ehemaligen Landwirt. Seine Familie lebt auf diesem Grund seit 400 Jahren, viele der Bäume auf dem Grundstück sind noch aus erster Generation. Er lebt vom Reisanbau und hat außerdem einen Maulbeerbaumwald, aus dem er das Futter für seine Seidenraupenfarm holt. Er soll uns aus erster Hand erzählen, wie das damals war. Und was seitdem für ihn geschehen ist. Es macht nicht den Eindruck, als wäre hier etwas aufgesetzt. Der alte Mann freut sich sichtlich über die Abwechslung und scheint sich genauso geehrt über unseren Besuch zu fühlen wie wir über seine Gastfreundschaft. Das Haus ist groß und klassisch japanisch. Er hat es vor 60 Jahren selbst gebaut und es soll noch weitere 100 Jahre halten. Das Haus ist vollständig aus Holz (aus dem eigenen Wald) und so gegen Erdbeben geschützt. Es riecht angenehm nach Zedern. Aber es ist ein bisschen kühl im Wohnzimmer. Der Alte macht uns Zeichen, wir mögen doch auf den Stühlen ohne Beine an seinem Tisch ohne Beine Platz nehmen. Und unsere Füße unter die Decke schieben (die Schuhe haben wir selbstverständlich schon im Eingangsbereich gelassen). Da merke ich es: Das ist ein Kotatsu! Die klassische, energiesparende Heizungsart Japans: Unter dem Tisch befindet sich ein (moderner Elektro-)Ofen. So werden die Füße angenehm mucklig warm. Aber die Decke hält die Wärme unter dem Tisch und es ist trotzdem noch angenehm frisch. Eine tolle Erfindung.
Der alte Herr redet natürlich nur japanisch und Karin übersetzt. Das muss für Karin recht anstrengend sein, aber es funktioniert erstaunlich gut. Ein paar Brocken kann ich auf japanisch auch verstehen. Sie redet ihn quasi mit "Geehrter Großvater" an, was ich ganz lustig finde. Erstmal ist er natürlich an unserer Herkunft interessiert. Zu jedem Land weiß er ein paar kluge Dinge zu sagen und in den meisten war er schon (Neuschwanstein! Schööön!). Er freut sich, dass jetzt die Bewohner der anderen Länder zu ihm kommen. Und er möchte wissen, warum wir nach Fukushima kommen. Tja, gute Frage. Wir drucksen ein bisschen herum, weil vonwegen mal ein Bild vor Ort machen. Und schauen, was Atomkraft anrichten kann.
Das erzählt er uns gerne. Wie das damals war, von Jetzt auf Sofort den jahrhundertalten Familiensitz verlassen zu müssen, ohne zu wissen, wann und ob überhaupt man wieder zurück darf. Wie die Jahre in der Evakuierungsstation für ihn waren. Und dass auch durch die Rückkehr nicht viel wieder gut geworden ist. In seinem Dorf haben mal über 200 Leute gelebt, davon sind bis jetzt keine 20 zurückgekehrt. Seine Kinder samt ihren Familien leben jetzt größtenteils im Großraum Tokio. Dort sind die Enkelkinder groß geworden und es wird wohl niemand wieder zurück ziehen. Aber er ist natürlich kein dummer Mann. Er sagt, das wäre vermutlich irgendwann eh so gekommen. Aber durch das Unglück ist es von einem Tag auf den anderen passiert.
Als er als einer der ersten wieder zurück gezogen ist, hat er sich natürlich als erstes um seinen Wald gekümmert. Obwohl das verboten war, weil dort die Strahlung noch viel zu hoch war. Das hat ihn aber nicht interessiert. Bei den regelmäßigen Strahlungsmessungen ist er dann aufgeflogen, weil er mit Abstand die höchsten Werte im Dorf hatte. Er solle nicht mehr in den Wald gehen, hat man ihm gesagt. Er hat "Ja" gesagt und ist trotzdem gegangen. Mittlerweile sind auch seine Werte wieder normal und er darf auch offiziell wieder in den Wald.
Aber sein Leben, sagt er, das ist zerstört. Er möchte nicht klagen und sagt, dass er ein fantastisches Leben hatte. Bis zum Tag des Unglücks, seitdem ist alles schrecklich. Zum Abschluss fragen wir ihn, was er denn jetzt von Atomkraft hält. Er findet, das Atomkraft sehr gefährlich ist und TEPCO hier Schlimmes angerichtet hat. Aber dennoch ist er nicht gegen Atomkraft, weil er findet, dass sie im Vergleich zu anderen Energiegewinnungen große Vorteile hat. Und dass die Atomkraft ja auch für Jahrzehnte Wohlstand und junge Menschen in die Provinz gebracht hat. Wenn man bedenkt, was das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi seine Leben angetan hat, eine erstaunlich reflektierte Meinung.
Nach einem Abschiedsfoto laufen wir durch den strömenden Regen zum Auto und sind schon ein bisschen berührt. Jetzt fahren wir in die orange Zone. Einen sichtbaren Unterschied gibt es nicht, nur dass wir ja wissen, dass hier keines der Häuser bewohnt ist. Hier sehen wir dann auch das erste Mal ein Bild, an das wir uns schnell gewöhnen werden: Große, schwarze Säcke voller Erde. Zu hunderten stehen sie herum und man fragt sich, was die hier wohl anstellen. Die Antwort ist, dass das die kontaminierte Erde ist. TEPCO und die Regierung planen, das gesamte Gebiet möglichst schnell wieder nutzbar zu machen. Deswegen werden wo immer möglich die obersten 5 cm Boden abgetragen. Da kommt natürlich einiges an Erde zusammen. Der genaue Plan und das ganze Ausmaß sollte uns aber erst in der roten Zone bewusst werden.
In der orangen Zone gibt es einen neu errichteten Supermarkt. Wir halten kurz an, um uns ein paar Mittagssnacks zu organisieren und nochmal auf die Toilette zu gehen. In der roten Zohne gibt es keine mehr. Wir essen im Auto, weil es draußen immer noch schüttet. Mein Dosiometer zeigt schon 3 Mikrosievert an, die anderen haben nur eins geschafft bisher. Sie witzeln darüber, dass die Strahlung bei mir da oben wohl etwas höher ist. Wir sind eine gute Gruppe.
In der roten Zone
Es gibt eine nördliche und eine südliche rote Zone mit je vier Zugängen an allen Seiten. Alle anderen Straßen sind mit Ausziehgittern abgesperrt und werden teilweise bewacht. In den Straßen patrouillieren außerdem Polizeiautos. An den Zugängen stehen mehrere Wachen in ulkig an Star Wars erinnernden Regenmänteln mit den in Japan üblichen roten Leuchtstäben. Wer rein oder raus möchte, benötigt eine für diesen Tag ausgestellte Genehmigung der Präfekturverwaltung mit den Namen aller Passagiere. Die dann nochmal sorgfältig per Ausweis kontrolliert werden. Dieser Job ist bei dem mittlerweile seit Stunden andauernden Platzregen wirklich beschissen. Aber gute Nachricht für uns: Wir dürfen rein und später auch wieder raus.
Die Kraft des Tsunamis
Wir fahren zu einer Halle, in der Fisch verarbeitet wurde. Die Halle steht nur wenige Meter vom Meer entfernt. Sie ist 14 Meter hoch und entsprechend einmal voll vom Tsunami erwischt worden. Das Bild der Halle kannte ich bereits aus dem Internet. Aber vor Ort merkt man die Dimensionen erst so richtig. Das Wasser hat einfach alles weggehauen, Stahlbetonbalken wie Strohhalme verbogen und alles mitgenommen, was nicht irgendwo befestigt war. Wir dürfen hier aussteigen und Fotos machen, wenn wir wollen. Der Engländer macht den Anfang, er ist ja derartiges Wetter gewöhnt. Nach 10 Sekunden ist er zurück im Auto, seinen Regenschirm hat es zerlegt. Da hat der gute Mann wohl nicht bei Knirps gekauft (Die gibt es übrigens auch in Japan). Also muss ich ihm mal zeigen, wie das geht. Der Regen peitscht, der Wind pustet und hinter mir wütet das Meer. Mein Schirm hält ebenfalls ein paar Sekunden, bevor er nach hinten klappt. Immerhin kann ich ihn heile wieder zusammenklappen. Das ist Knirps-Qualität.
Dann eben ohne Schirm. Hätte ich doch nur mal meine Regenjacke mitgenommen, ich Idiot. Muss auch ohne gehen. Also das Bengals-Cap stramm um den Kopf geschnallt, die Jacke zu, Kamera schussbereit und raus. Da große Teile des Regens eher horizontal kommen, ist meine Hose in Sekunden spürbar durch. Da hätte die Regenjacke auch nicht viel ausrichten können. Und bezüglich meiner Kamera frage ich mich: Wie viel Wasser ist eigentlich Spritzwasser? Naja, ein paar Fotos gehen schon. Allerdings ist es wirklich unangenehm und die Bilder werden merklich scheiße. Die Kamera hat Probleme mit dem Autofokus und die Unmengen an Regen machen alles unscharf und die Farben doof. Dennoch laufe ich ein, zwei Minuten durch die Gegend. Ich muss hier ja abliefern. Und es fühlt sich wahnsinnig spannend an. Ein paar der brauchbaren Bilder gibt's unten.
Durchweicht und nachdenklich steige ich wieder ins Auto. Ich hatte natürlich schon eine recht genaue Vorstellung, wie so ein Tsunami theoretisch funktioniert. Das dann vor Ort in dieser gewaltigen Größenordnung zu sehen, ist aber nochmal was anderes. Und von ähnlich zugerichteten Bauwerken gibt es in der roten Zone nicht nur diese paar, nicht ein paar Dutzend, sondern wir sehen Hunderte. Häuser, die nur noch aus anderthalb Wänden bestehen und aus denen das Hab und Gut der ehemaligen Bewohner noch herausquillt. Komplett eingestürzte Ruinen. Aber auch fast unbeschädigt aussehende Häuser mit schwarzen Fenstern. Und überall die Natur, die sich die zurückgelassene Zivilisation zurückholt. Wir sind allerdings erstaunt, dass hier so viele Autos herumstehen. Bis uns Karin auf die Reifen hinweist: Die sind alle platt. Die Autos stehen hier seit dem 11. März 2011 und sind seitdem nicht mehr angefasst worden. Das ist wohl auch aufgrund der Strahlengefahr verboten. Die Autos gehören mittlerweile fast alle TEPCO, denn sie mussten die Besitzer entschädigen. Irgendwann wird TEPCO die Autos alle dekontaminieren und entsorgen lassen müssen.
Auf den Hauptstraßen der roten Zone sind uns bereits die vielen LKWs aufgefallen. Karin erzählt, dass diese in allen Zonen (grün, orange und rot) die Erdsäcke einsammeln. Es sind tausende LKWs und TEPCO schätzt, dass es derzeit etwa 160 Millionen dieser etwa einen Kubikmeter großen Erdsäcke gibt. Wie viele es insgesamt werden, ist nicht abzuschätzen. TEPCO rechnet damit, dass das Abtragen der oberen Erdschicht auch etwa 30 Jahre dauern wird. Aktuell ist man besonders damit beschäftigt, die ganzen Säcke aus der grünen und orangenen Zone in die rote Zone zu schaffen. Vermutlich um es den Einwohnern etwas einfacher zu machen, sich in ihrem neuen, alten Zuhause wohlfühlen zu können.
Die Säcke werden auf riesigen Halden zwischengelagert. Das Ganze hat nicht die Ausmaße von Braunkohletageabbau. Der Anblick zieht einem aber dennoch etwas den Boden unter den Füßen weg. Was denn mit den Wäldern ist, wird da auch die Erde abgetragen. Nein, sagt Karin, das ist laut TEPCO viel zu aufwendig. Man möchte schnaufen, kann es aber irgendwie nicht. Von den Zwischenlagerstellen werden die Säcke dann zu einer von vier Sortieranlagen transportiert. Das sind riesige Industrieanlagen, vor denen sich die LKWs in hunderte Meter langen Schlangen stauen. Die Säcke werden auf Transportbänder gekippt und in die Anlage befördert. Dort wir der Kontaminationsgrad geprüft und dann entschieden, welche Teile der Erde verbrannt werden können und welche weiter gelagert werden müssen. Durch mannshohe Schläuche wird die zu verbrennende Erde in die benachbarten Verbrennungsanlagen gepumpt. Und die zu sehr kontaminierte Erde ebenfalls mit diesen Schläuchen zu einem von zehn sogenannten "30-Jahre-Speichern". Das sind riesengroße, Dutzende Meter tiefe Gruben, in die die Erde geschüttet wird. Oben drauf kommt dann eine Schicht saubere Erde und erstmal fertig. Wie es dann in 30 Jahren weitergehen soll, weiß noch niemand so genau. Auch nicht ob die 10 Speicher ausreichen werden.
Dass man noch keinen finalen Plan für all den verseuchten Scheiß hat, hat man ja zuletzt immer mal in den Medien erfahren. Dass TEPCO echt ein Sauhaufen ist, ebenso. Was mir aber nicht im Ansatz klar war, welchen Aufwand die hier dann trotzdem betreiben. Ich dachte eher, das ist hier wie Tschernobyl. Man überlässt das alles sich selbst und alle paar Jahrzehnte lässt man sich von der Internationalen Staatengemeinschaft einen milliardenschweren, neuen Topfdeckel für sein strahlendes Scheißhaus bezahlen. Das ist hier überhaupt nicht so. Und zumindest bis zu den nächsten Wahnsinnsmeldungen kann man schon den Eindruck haben, dass TEPCO zwar etwas spät gemerkt hat, worum es geht. Die Sache jetzt aber ernst meint.
Am Altersheim
Wir fahren weiter und erreichen ein idyllisch im Wald gelegenes Altersheim. Hier ist der Evakuierungsbefehl bereits eingetroffen, bevor der Tsunami das Kernkraftwerk getroffen hat. Und natürlich war auch hier niemand vernünftig auf den Katastrophenfall vorbereitet. Was soll auch schon passieren, wenn man etwa einen Kilometer von einem Atomkraftwerk entfernt ist. Der Aufruf zur Evakuierung hat dann für Tumulte gesorgt. Einige Ärzte und Pflegekräfte wollten sich gar weigern, da sie den Transport der meist bettlägrigen Patienten für deutlich gefährlicher hielten als die drohende Katastrophe. Am Ende sollten sie vermutlich recht behalten. Durch die überhastete Evakuierung starben mehrere Bewohner des Altersheimes. Aber auch ansonsten lief die Evakuierung schrecklich. Patienten wurden in die umliegenden Präfekturen gefahren und geflogen. Jedoch weigerten sich nach der ersten Explosion im Kraftkwerk viele Krankenhäuser, Patienten aus Fukushima aufzunehmen. Schließlich konnte niemand verlässliche Aussagen über mögliche Strahlenbelastung machen. Unfassbar.
Durch die Fenster im Erdgeschoss kann man in das Büro des Altenheims schauen. Der Wandkalender steht immer noch auf dem 11. März 2011. An der Garderobe hängen die Jacken der Mitarbeiter. Auf den Schreibtischen steht die Medizin und Gegenstände aus den Regalen sind durch das Erdbeben auf den Boden gefallen. Zwischen Haupteingang und Parkplatz stehen diverse Betten, Bahren und Rollstühle, von denen aus man offenbar unter Zeitdruck die Bewohner in Busse befördert hat. Und auf den Parkplätzen wieder Dutzende Autos ohne Luft in den Reifen. Der Anblick ließ uns alle schaudern und sprachlos zurück.
Auge in Auge mit dem Reaktor
Neben dem Altersheim befindet sich eine kleine Anhöhe, von der aus man das Meer (angeblich; war zu viel Regen) und die Reaktorblöcke in etwa einem Kilometer Entfernung sehen kann. Da meine Hose schon wieder einigermaßen trocken war, bin ich kurz ausgestiegen für Fotos. Die sind natürlich wieder nicht so prima geworden. Aber besser als keine Fotos. Und erneut war es sehr seltsam, in diesem Gebiet draußen und im strömenden Regen zu stehen. Diesmal sogar mit direktem Blick auf die Reaktorblöcke. Zum Foto: Die Reaktorblöcke sind ganz hinten am Horizont leicht rechts zu erahnen. Das, was so ein bisschen wie überdimensionale Dixiklos aussieht.
Geisterstadt Okuma
Weiter ging es nach Okuma, das auch noch in der roten Zone liegt, allerdings hoffentlich bald orange Zone werden kann. Hier wird entsprechend viel gebaut, unter anderem soll es einen neuen Bahnhof geben und dann bald die Joban Line wieder von Tokio bis nach Sendai durchfahren können. Wir haben die Hauptstraße des Dorfes besucht. Man kann erkennen, dass es hier früher wirklich mal ganz nett war. Einige kleine Läden, Eisdielen, Fahrradverleih, Friseur. Sicherlich ein kleines bisschen Naherholungsgebiet. Und jetzt sieht es aus wie die Kulisse für einen Endzeitfilm. Große Teile der Hauptstraße sollen demnächst abgerissen werden. Entsprechend durften wir hier ein wenig fotografieren. Weil es aber weiterhin wie aus Eimern geschüttet hat, haben wir das aus dem rollenden Auto gemacht. Und die langsam einsetzende Dämmerung (plus mein Kaumwaskönnen) hat die Qualität der Bilder auch nicht gerade positiv beeinflusst. Ein paar davon häng ich unten an.
Nun wurde es rasch dunkel. Wir kreuzten nochmal durch die roten Zonen und fuhren in ein Neubaugebiet, das TEPCO für einige Zurückgekehrte errichtet hat. Das Ganze sieht ziemlich nach Reißbrett aus, scheint aber im Vergleich zu der alten Baustruktur durchaus ein Fortschritt für die Bewohner zu sein. Hier tickt aber auch schon das nächste Problem: Die zurückgekehrten Bewohner sind wohl fast ausschließlich Rentner. Jungen Leuten fehlt die Perspektive. Und so wird es wahrscheinlich nur zehn bis zwanzig Jahre dauern und die Region hat ihren nächsten Exodus zu verkraften.
Unsere letzte Station sollte das Dekontaminierungs-Archiv sein. Das hat TEPCO errichtet, um sich für ihr Fehlverhalten zu entschuldigen und transparent über die Fortschritte der Zonenreinigung zu informieren. Pikantes Randdetail: Das Gebäude beherbergte bis zum Unglück ein an KInder gerichtetes Musuem, das über die Errungenschaften der Atomenergie feierte und natürlich ganz besonders ausführlich darauf verwies, wie unglaublich sicher Atomkraft ist und TEPCO wirklich alles im Griff hat. Im Archiv bekamen wir eine kleine Privatvorführung eines Filmes, den TEPCO hat anfertigen lassen. Er zeigt nochmal viele Originalaufnamen des Tsunamis und der explodierenden Reaktoren. Das wirklich umso beklemmender, wenn man wenige Minuten vorher noch an genau den Orten stand. Der Clip hat einen ziemlich faden Marketing-Beigeschmack mit etwas zu tiefer, japanischer Entschuldigungsverbeugung. Aber auf der anderen Seite, was sollen sie denn machen? Mit den Schultern zucken? Wie fast jeder Ort lässt einen also auch das Archiv mit sehr gemichten Gefühlen zurück.
Und so endete die Tour. Jetzt sollten wir noch zum Bahnhof zurück gebracht werden. Da es allerdings immer noch und durchgängig seit mittag Sturzbäche regnete, machten wir uns schon langsam Gedanken, ob denn unser Zug noch fährt. Der Engländer wollte direkt nach Tokio, also wurde er als erstes zum südlichen Bahnhof der Joban Line gefahren. Im Bahnhof erfuhren sie, dass der Zugverkehr nach Tokio bereits vor Stunden eingestellt worden war. Also musste er wohl oder übel mit uns über Sendai fahren. Wenn denn noch was fahren sollte.
Nach knapp einer Stunde Fahrt durch Nacht, Regen und meterhoch spritzende Pfützen erreichten wir Odaka Station. Aber sorry, auch hier war der Zugverkehr eingestellt. Läuft! Aber vermutlich fahren die Züge noch ab dem Bahnhof, an dem ich auf dem Hinweg umsteigen musste. Zum Glück hatten wir Karin und zum Glück war Karin Japanerin. Deshalb fuhr sie uns selbstverständlich dort hin. Und weil im Bahnhof ein bereits ein Japaner gestrandet war, der auch nach Sendai wollte, wurde der kurzerhand mit ins Auto gepackt. Es stellte sich heraus, dass der ein TEPCO-Ingenieur war, der hier gerade beim Aufbau der Erd-Zwischenlager behilflich ist. In gebrochenem, aber gutem Englisch bekamen wir so also noch ein paar Informationen und Antworten auf unsere Fragen.
Schließlich erreichten wir Haranomachi. Und wir hatten Glück, es sollte tatsächlich noch ein Zug nach Sendai fahren. Allerdings bereits in einer Minute. Also ging es im Sprint unter Anfeuerungsrufen des Bahnbediensteten zum Zug. Im Vorbeilaufen warfen wir Karin unsere Dosiometer zu (ich glaube, ich hatte am Ende 7 Mikrosievert), bedankten und verabschiedeten uns und sprangen in den Zug. Etwas über eine Stunde später erreichten wir Sendai. Wir verabschiedeten uns voneinander und ich machte mich auf den Weg zum Hotel. Es regnete auch in Sendai noch bis tief in die Nacht in Strömen weiter. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass durch die Regenfälle an der Ostküste zwischen Fukushima und Chiba fast ein Dutzend Menschen gestorben sind. Im Shinkansen am nächsten Morgen erfuhr ich, dass die Joban Line bis auf weiteres aufgrund von Erdrutschen gesperrt ist. Ich muss ehrlich sagen, dass ich zu keiner Zeit das Gefühl hatte, einer tatsächlichen Gefahr ausgesetzt gewesen zu sein. Am heftigsten muss es wohl auch den Bereich um Chiba erwischt haben. Dennoch machte es einen eh schon schwer fassbaren Tag noch unfassbarer. Als ich dann abends endlich in meinem Zimmer lag und draußen der Regen rauschte, rauschte es in meinem Kopf noch lange mit.
Und wie war's am Ende?
Ein Fazit fällt mir entsprechend nicht leicht. Hat sich der Aufwand gelohnt? Für mich auf jeden Fall. Ich wusste wirklich nicht, was mich erwartet. Ob ich es total scheiße finden werde oder es mir zu nahe gehen könnte. Am Ende war es eine absolut runde Mischung aus Wissen, Eindrücken und Emotionen. Das Umfeld hat mehr als genug Raum gegeben, um die ganze Tragweite des Geschehens in sich aufzunehmen. Sicherlich ist solch ein Ausflug nicht jedermanns Sache. Aber ich bin extrem froh, es gemacht zu haben. Ich finde ja grundsätzlich, dass man in einem fremden Land auch solche Dinge wahrnehmen muss. Nicht nur ein bisschen Tempel schauen, Sushi essen und einen Plastikkimono anziehen. Ich glaube, in der gesamten Geschichte Japans ist die Dreifachkatastrophe nichts Besonderes, eher ein Platz im vorderen Mittelfeld. Katastrophen schlimmsten Ausmaßen gehören hier ja zum Alltag. Dennoch glaube ich, dass es hilft, die Japaner ein bisschen mehr zu verstehen. Wie sie mit solchen Ereignissen umgehen und wie sie sie wegstecken. Meine Meinung zum Thema Atomkraft hat der Besuch - wie erwartet - nicht geändert. Ich war schon immer der Meinung, dass das eine echte Scheißidee ist. Ja, die Vorteile sehe ich auch. Wenn so einem Ding mal der Deckel in die Luft geht, dann ist es allerdings echt scheiße. Und selbst wenn nicht, Endlager und so. Aber wir wollen hier ja nicht über so Energiequatsch diskutieren. Ich hoffe, ich konnte einigermaßen rüberbringen, wie das so in Fukushima ist. Schade, dass das mit den Fotos so schwierig war. Und ich verspreche, das war's jetzt erstmal mit den schweren Themen. Genau genommen bis Hiroshima. Bis dahin wird es wieder fröhlicher und bunter. Im nächsten Artikel gibt es eine Tonne richtig toller Fotos von einem der schönsten Orte, die ich je gesehen habe.
Heute nacht ist Shuri Castle, die wunderschöne rote Burg von Okinawa, bis auf die Grundmauern abgebrannt. Da waren wir letztes Jahr und es war einer der schönsten Orte überhaupt. Ich kann erahnen, was die Japaner tun werden: Wenn es abbrennt, baut man es halt wieder auf.