Somewhere over the Rainbow Bridge
Frühstück im Ueno Park
Heute wollte ich zu Beginn des Tages die Nähe meines Hotels zum Ueno Park nutzen. Gesehen haben wir hier ja eigentlich letztes Jahr schon alles (und alle Tempel und Schreine wegen Goshuins abgeklappert). Aber hier kann man bestimmt prima frühstücken. Also hockte ich mich auf eine Bank in den Park und genoss ein traditionell japanisches Frühstück bestehend aus Eiersandwich, Banane und Dosenkaffee. Wirklich erstaunlich, wie entspannt es nur wenige Meter neben einigen der lebhaftesten Ecken Tokios zugeht. Und obwohl es angenehm ruhig ist, herrscht im Park selbst ein reges Treiben. Es treten zu jeder Tageszeit diverse Kleinkünstler auf. Unter anderem übte sich bereits zu so früher Stunde (zugegeben, es muss immerhin schon 11 Uhr gewesen sein) eine junge Dame im Stangentanz. Ueno Park, der größte Stripclub der Welt! Ob tatsächlich noch gestrippt wurde, weiß ich nicht. Ich hatte ja mal wieder keine Zeit und musste weiter. Die Welt erkunden.
Erster Stop: Yanaka
Da der doofe Kaiser seine doofe Parade abgesagt hat (nicht dass ich nachtragend wäre!), hatte ich jetzt fast einen ganzen Tag mehr Zeit in Tokio. Und in Tokio kann es ja gar nicht langweilig werden. Also beschloss ich, einer Empfehlung meines Japanisch-Mitschülers Jens zu folgen. Der war vor wenigen Wochen ebenfalls in Japan und konnte mir einige gute Tipps geben. Also schnell noch die Banane mit Kaffee runtergespült und auf nach Yanaka! Das ist einer der wenigen "alten" Stadtteile Tokios. Und um mal wieder kurz mit meinen mittlerweile erworbenen Kanji-Künsten anzugeben: Das Viertel heißt 谷中 (谷 = Tal [Ya], 中 = Mitte [Naka]). (Und nebenbei: 中 taucht auch im Wort für China auf. Das ist 中国, also Land der Mitte. Gelesen wird das Zeichen allerdings hier Chuu, das ganze Wort Chuugoku. Das macht Japanisch-Lernen so spaßig). Also Mitten im Tal. Als es kurz hinter der U-Bahn-Haltestelle eine lange Treppe herunter ging, war ich mächtig stolz über meine Kanji-Künste. Und schön war es da auch noch.
In Yanaka gibt es einige alte Friedhöfe. Aus europäischer Sicht sind diese deutlich angenehmer, die Trauer quillt einem nicht überall direkt entgegen. Oft wird im (meines Wissens in der Regel buddhistischen) Tempel eine Trauerfeier abgehalten. Die Besucher sind aber nicht alle in Schwarz gekleidet und sehen auch nicht aus, als wäre gerade wer gestorben. Das gefällt mir persönlich ja deutlich besser als bei uns. Auch das Gedenken funktioniert etwas anders. Friedhofsgärtnerei ist kein allzu ausgeprägter Geschäftszweig in Japan. Die meisten Gräber sind sehr klein und bestehen fast vollständig aus Stein mit ein paar beschrifteten Holzlatten. Es gibt Schalen für Gaben an die Verstorbenen. Darauf sieht man Blumen, Kerzen, aber auch mal eine Flasche Eistee aus dem Conbini.
Die Hauptstraße Yanakas ist ein bisschen zu touristisch, aber sobald man sich ein paar Meter zur Seite bewegt, wird es gemütlich und schön. Hoffentlich bleibt dieser Stadtteil noch eine Weile erhalten und muss nicht einem weiteren Roppongi-Hills-Betonbunker weichen. Für mich hieß es aber langsam, Abschied von Yanaka zu nehmen. Die Sonne näherte sich bereits gefährlich dem Horizont. Und ich hatte doch noch zwei weitere Punkte auf dem Programm: Zum Einen muss ich natürlich der großen Gundam-Statue in Odaiba Hallo sagen (und diesmal gibt es hier auch Fotos und ein Video!). Und das ließ sich wunderbar mit einem Spaziergang zum Sonnenuntergang über die Rainbow Bridge verbinden. Eine tolle Idee, insbesondere wenn man wie ich massive Höhenangst hat.
Die Rainbow Bridge
Die Rainbow Bridge wurde in den 90ern fertig gestellt und verbindet Odaiba mit Festland-Tokio. Sie ist knapp 800 Meter lang (der Fußweg ist allerdings deutlich länger, weil man über diverse "Zubringer" marschieren muss) und knapp 130 Meter hoch. Mario-Kart-Fans wird der Name etwas sagen. Sie ist Namensgeber für die fiesen Endgame-Strecken, auf denen man überall herunter fallen kann. Ganz so schlimm ist das Original allerdings nicht. Ihren Namen verdankt die Brücke ihrer Beleuchtung. In den Abendstunden wird sie in allen Farben des Regenbogens erleuchtet. Als ich sie überquerte, war sie aber einfach nur weiß. Ich habe keine Ahnung, warum.
Die Idee, über die Rainbow Bridge zu spazieren, kam mir eher zufällig. Zur Navigation benutze ich hier in der Regel Google Maps. Und als ich geschaut habe, wie ich von Yanaka nach Odaiba komme, war der Routenplaner noch auf Zu Fuß eingestellt. Man kann zu Fuß über die Rainbow Bridge? Das muss ich überprüfen. Also mit der Monorail zum einen Ende der Rainbow Bridge und mal schauen, ob Google lügt. Zu verlieren gab es ja nicht viel. Die Monorail fährt über die Rainbow Bridge, schlimmstenfalls musste ich also nur wieder einsteigen. Vorsichtig gesagt ist das Gebiet rund um die letzte Monorail-Station vor der Brücke nicht gerade touristisch. Es ist eher ein weitläufiges Industriegebiet. Es dämmerte bereits und neben einigen LKWs und Arbeitern war ich der einzige Mensch weit und breit.
Als ich mich jedoch dem Fuß der Brücke näherte, traf ich auf eine Gruppe Chinesen mit Reiseführer in der Hand. Ein gutes Zeichen! Und kurze Zeit später stand ich dann unter der Brücke. Meine Höhenangst sagte klar und deutlich: Nein! Meine Neugier: Ja! Und die Neugier siegte. Von dieser Seite aus ging es mit einem Fahrstuhl sieben Stockwerke hoch zum Fußweg über die Brücke. Ganz schön hoch und draußen ganz schön unangenehm. Der Fußweg ist nicht sonderlich breit und direkt neben der Straße. In der Mitte fährt die Monorail. Insbesondere die Monorail, aber auch schwere Fahrzeuge lassen die Brücke ordentlich vibrieren. Das Blech des Geländers klappert im Grunde genommen die ganze Zeit. Mein weniges Statikwissen sagte: Das muss so, sonst bricht die Brücke ab. Meine Höhenangst sagte: Aaaaah! Aber jetzt kneifen wäre ja auch blöd, also mutig voran. Es gibt zwei Fußwege über die Brücke, die der Stadt zugewandte Südroute und die dem Hafengebiet zugewandte Nordroute. Ich entschied mich für die Nordroute, weil auf der Seite gerade die Sonne unterging. Alle paar hundert Meter gab es eine kleine, ausgestellte Aussichtsplattform. Und obwohl das mit meiner Höhenangst auch nicht so toll war, war der Ausblick gigantisch.
Auf der Brücke war es dann gar nicht mehr so einsam. Es war jetzt auch nicht viel los, aber alle paar Minuten begegnete man Leuten. Und da war alles bei, von anderen Touristen, Fotografen, diversen Joggern und auf einer der Aussichtsplattformen fand ein kleines Model-Shooting statt. Dazwischen bretterten immer wieder LKWs an einem vorbei und alle paar Minuten rauschte die Monorail durch die Mitte.
Am Ende der Rainbow Bridge gab es die Möglichkeit, auf die Südroute zu wechseln. Die Aussicht auf einen Ausblick auf Tokio bei Nacht war verlockend, also ging ich rüber. Der Weg führte unter der Brücke her auf die andere Seite. Das Geländer ging mir etwa bis auf Hüfthöhe, fühlte sich aber eher wie Kniehöhe an. Es war natürlich alles andere als gefährlich oder sonderlich spektakulär. Ich müsste allerdings lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich mich nicht ein bisschen zusammennehmen musste.
Gelohnt hat es sich aber auf jeden Fall. Tokios Skyline ist auch von dieser Perspektive aus atemberaubend schön. Und ich konnte meinem alten Kumpel Tokyo Tower winken. Die Fotos von der Skyline sind leider fast alle nicht so dufte geworden. Lag vermutlich am zugezogenen Himmel, zu wenig Zoom und meinen mittelmäßigen Fotoskills. Naja, man kann nicht alles haben. Der Rest des Weges zieht sich dann nochmal ordentlich. Auf dieser Seite geht es nicht mit dem Fahrstuhl nach unten, sondern dem Zubringer folgend. Dafür bekommt man immer wieder tolle Ausblicke auf die Brücke und Odaiba. Und hat man erstmal das Ende des Weges erreicht, ist man mitten im Naherholungsgebiet von Odaiba. Das heißt hier: Am Strand. Genau der richtige Ort für eine kurze Pause nach dieser vor allen Dingen nervlichen Anstrengung. Bei gemütlichen 20 Grad gab es einen verdienten Tee und Onigiri am Strand mit Blick auf die Brücke. Toll!
Im Gunpla-Mekka
Vom Strand waren es nur noch ein paar Hundert Meter bis zum Mekka für alle Gunpla-Freunde. Gunpla ist ein in Japan bereits seit den 70ern sehr beliebtes Hobby. Gundam ist die Kurzform von Gundam Plastic und bedeutet so viel wie Gundam-Roboter aus Plastik bauen. Das Ganze ist ein bisschen wie bei uns dieses Revell-Zeugs. Nur halt nicht so kriegsgeil. Klar, die Roboter kämpfen natürlich auch. Aber zum Einen ist es Science-Fiction und zum Anderen gibt sich Gundam seit jeher schon auch viel Mühe für ausgewogene Storys. Storys? Ja, klar. Denn von Beginn an war die Idee, nicht einfach nur Plastikbausätze zu verkaufen. Sondern dazu gab es Serien und Kinofilme. In diesen gibt es natürlich immer böse Leute. Aber es wird auch immer irgendwie die Perspektive der Gegenseite aufgezeigt. Und man hat nicht ganz so das Gefühl, doofem Propagandabrei ausgeliefert zu sein. Ist natürlich weit davon entfernt, Hochkunst zu sein. Aber kann man schon machen. Die Bausätze sind alle komplett ohne Klebstoff zusammenbaubar. Sie reichen von sehr einfach und günstig (unter 10 Euro, bei Import natürlich deutlich mehr...) bis superschwierig und teuer. Mich hat es letztes Jahr nach dem Besuch in Japan ein wenig gepackt. Da kann man stundenlang herumbasteln und dabei Hörbücher hören, eine schöne Winterbeschäftigung. Ich habe mit ein paar einfachen Modellen angefangen und weil ich es ja immer übertreiben muss, am Ende den Perfect Grade Unicorn Gundam gebaut, inklusive LED-Beleuchtung. Ich habe die Zeit nicht gemessen, würde aber davon ausgehen, dass ich deutlich jenseits der 20 Stunden dafür benötigt habe. Danach taten mir alle Finger weh und insbesondere der Einbau der LEDs war ein wahrer Krampf. Und jetzt steht das Plastikungetüm nutzlos in meiner Wohnung herum. Aber ich find's irgendwie auch geil.
Und eben jener Unicorn Gundam steht in Originalgröße (stolze 20 Meter) in Odaiba vor der Gundam Base Tokyo. Das ist natürlich der Wallfahrtsort für alle Gundam- und Gunpla-Freunde. In der Gundam Base gibt es eine kleine Ausstellung zur Geschichte von Gunpla, diverse Gunplas japanischer Promis und die Sieger der jährlichen Gunpla-Weltmeisterschaften. Und es gibt immer auch ein paar exklusive Bausätze, die nur dort verkauft werden. Die aktuellen Modelle waren allerdings total hässlich. Außerdem will ich die ja nicht noch wochenlang mit mir herumschleppen. Und gegen eine gewisse Service-Pauschale kann man die natürlich auch im Internet kaufen. Abgesehen davon gab es aber einige Bausätze, auf die ich schon Bock hätte. Mal schauen, was der Winter bringt.
Im Anschluss an die Runde durch die Gundame Base war Zeit für Abendessen. Es gab lecker Omuraisu. Das Omelette gefüllt mit Reis und brauner Soße. Dazu eine leckere Frikadelle. Und nach dem Abendessen war ich genau rechtzeit vor der Gundam Base, um einer der täglichen Unicorn-Gundum-Lightshows beiwohnen zu können. Und es war sogar noch Zeit, die Kamera rauszuholen:

Was für ein großartiger Song! Und falls jetzt wer auch Bock auf Gundam hat: Die Serie Unicorn Gundam gibt es auf Netflix.
Das gezeigte Video ist der Vorspann zur allerersten Gundam-Serie von 1979. Hier in guter Qualität:

Kabukicho bei Nacht
Das reichte natürlich noch nicht für einen Tag. Also schnell in die Monorail, über die Rainbow Bridge und bis zur Shinjuku Station. Hier werden jeden Tag drei Millionen Leute befördert, was die Haltestelle gemeinsam mit einer Station in Mumbai zur verkehrsreichsten der ganzen Welt macht. Entsprechend geht es hier zu. Mein Ziel lag direkt nördlich der Station: Kabukicho - der gefährlichste Ort Japans. Das klingt spektakulär, ist aber in Wahrheit etwa so wie "die erfolgreichste Bundesligasaison von Arminia Bielefeld". Ich musste also keine Angst vor Taschendieben haben oder mich gar bewaffnen. Kabukicho ist einer der beliebtesten Ausgehbezirke der Stadt und in letzter Zeit ist es immer mal wieder zu kleineren Verbrechen gekommen. Touristen wurden abgezockt, einigen wurde sogar Zeugs in die Drinks gekippt und sie wurden danach ausgeraubt. Die Jungs von der Hamburger Davidwache würden das hier allerdings sicher "den ruhigsten Tag seit Jahrzehnten" nennen.
Auf engster Fläche befindet sich hier ein knallbunter Laden neben dem anderen. Die Lautstärke ist fast überall ohrenbetäubend (in Vietnam-Lautstärke an die 70%). Hier befindet sich auch das Robot Restaurant. Was mal als Restaurant gestartet ist, hat sich irgendwann zu einer völlig durchgedrehten Robotershow mit angeschlossenem, mittelmäßigen Restaurant gewandelt. Man sagt, es ist eher mittelmäßige Touristenabzocke. Also nichts für mich. Ich hatte außerdem noch kurz andere Pläne: Als Spieler der Yakuza-Serie kenne ich Kabuchiko natürlich. Die Serie spielt hauptsächlich in einem Abbild von Kabukicho namens Kamurocho. Wer es nicht kennt, kann ja mal "Yakuza Kamurocho" in die Google Bildersuche eingeben. Also musste ich mal schauen, wie viele Vorbilder von Orten in Yakuza ich finden kann. Es waren einige. Nachdem mir all die bunten Lichter noch ordentlich was auf die Zwölf gegeben haben, war es dann aber endgültig Zeit, zurück zum Hotel zu kommen. Ein wenig Schlaf sollte nicht schaden. Schließlich sollte am nächsten Tag mein erster Reisetag innerhalb Japans sein. Mit dem Shinkansen will ich von Tokio nach Sendai. Und was mich ausgerechnet nach Sendai treibt, erfahrt Ihr morgen. Bis dahin gibt es unten noch den üblichen Haufen weiterer Bilder vom Tag.
Bildergalerie
Kommentare
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Am 29. Oktober, 00:46 Uhr (Japan), 28. Oktober, 16:46 Uhr (Deutschland)Also, dieser Song erinnert mich irgendwie an Biene Maja. Hatte Karel Gott ein Engagement in Japan? Aber die japanischen Willis haben scheinbar mehr drauf als das mitteleuropäische Exemplar.Am 29. Oktober, 01:08 Uhr (Japan), 28. Oktober, 17:08 Uhr (Deutschland)Also bitte! Der Gundam-Song hat ja wohl mehr Pfeffer als Karel Gott selbst zu Lebzeiten je hatte. Aber immerhin ist es die gleiche Zeit. Das Video ist der Vorspann der allerersten Gundam-Serie von 1979. Ich klebe mal oben noch ein Video davon unter mein Video.
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Am 29. Oktober, 03:28 Uhr (Japan), 28. Oktober, 19:28 Uhr (Deutschland)Gut, dass du da deine Höhenangst überwunden hast, es hat sich gelohnt. Sensationell schöne Fotos!!! In weiß gefällt mir die Brücke übrigens auch sehr gut! Da hast an einem Tag ja ordentlich was abgearbeitet.Am 29. Oktober, 08:54 Uhr (Japan), 29. Oktober, 00:54 Uhr (Deutschland)Ich war tatsächlich ein bisschen stolz. Neben all dem Programm auch noch ein bisschen Selbsttherapie. Tokio ist wirklich sehr stressig.