Kreuz und quer durch Tokio
Auf zum Edo-Museum
Bereits letztes Jahr stand auf Platz 1 meiner Schlechtwetter-Aktivitäten das Edo-Museum. Aber wir hatten nur Sonne, Sonne und noch mehr Sonne. Gestern abend wurde noch ein weiterer Taifun für Tokio angekündigt, der heute die Stadt treffen sollte. Der hatte sich über Nacht jedoch noch vor der Küste in heiße Luft aufgelöst. Es reichte dennoch für einiges an Wind (auf der Hamburger Windskala im Bereich von "Hmjoah!") und Regen. Also auf zum Edo-Museum! In der Nähe gab es noch schnell ein kleines Frühstück und dann sollte es ein paar Stunden Stadtgeschichte geben. Am Musuem die nächste Überraschung: Der Eintritt war heute kostenlos. Und es ist ja trotz der verschobenen Kaiserzeremonie Feiertag. Na, toll! Ich spare also 5 Euro und dafür ist das Museum bis unter den Rand voll mit Leuten. Jetzt kann ich auch mal diesen Satz mit der nötigen Spur Zynismus sagen, den ich sonst oft genug zu hören bekomme: Danke, Kaiser!
Also, worum geht es in dem Museum eigentlich? Bevor Tokio Tokio hieß, hieß Tokio Edo. Klar? Klar. Edo hieß die Stadt - überraschenderweise - in der Edo-Zeit. Das war die Zeit der Tokugawa-Herrschaft. Das kennen wir hier aus all den schlechten Samurai-Filmen. Die Phase ging etwa von 1600 bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Edo-Museum versucht allerdings die ganze Geschichte der Stadt abzudecken.
Über die Nihombashi
Direkt nach Betreten der Ausstellung geht es über eine historische Nachbildung der Nihombashi. Deren Ist-Zustand haben wir uns bereits letztes Jahr angeschaut. Das Bild ist vom letzten Jahr, unten die Nihombashi, oben wurde kurzerhand eine Autobahn drübergetackert. Bashi ist übrigens Brücke und Nihom wie Nihon (M und N ist hier nicht so anders). Und Nihon kennt Ihr aus der URL meiner Seite. So nennen die Japaner ihr Land (Nippon wenn es um Sport und Nationalstolz geht). Die Brücke war für Tokio (Edo) über Jahrhunderte der markanteste Landpunkt. Also ein wirklich guter Start ins Museum.
Besonders an den ersten Exponanten stauten sich die Massen. Es war auffallend, mit welcher Akribie insbesondere die älteren Herrschaften jeden Informationsschnipsel in sich aufsaugten. Oder sie waren kurz weggenickt. Nach einigen Metern wurde es allerdings deutlich luftiger und somit erträglicher. Es gab außerdem einiges an historischen Dingen zu sehen. Alte Schriftrollen, Fächer, Schwerter - das volle Programm. Wie üblich haue ich einiges an Bildern unter den Artikel. Das wird voll diesmal.
So ging es Stück für Stück durch die Geschichte der Stadt. Vollgepackt mit Informationen, tollen Austellungsgegenständen und immer auch was zum Ausprobieren. Es waren eh erstaunlich viele Kinder anwesend. Die lässt man ja in Asien generell viel mehr laufen als bei uns. Und trotzdem benehmen sie sich nicht wie dumme, kleine Arschgeigen. Können wir was von lernen. Apropos Lernen! Neben einer Menge Informationen über das Leben in der Stadt fand ich sehr interessant: In Sachen Religion sind die Japaner ja eh cool drauf. Man nimmt, was man kriegen kann, und mischt alles wild durcheinander. Im Rahmen ihrer Buddhismus-Interpretation ist das Besteigen von Bergen eine ganz wichtige Sache. Und das Größte und Wichtigste ist natürlich das Besteigen des Fuji. Das ist übrigens heute immer noch so für viele Gläubige. Weil aber damals der Fuji nicht eben mit dem Billigflieger zu erreichen war, hatten die Fuji-Anhänger ein Problem. Und mit Problemen machen die Japaner immer das Gleiche, sie lösen sie. Deshalb gibt es überall in Edo sogenannte Fujizuka. Das sind mehr oder weniger naturgetreue Mini-Fujis. Oft nur mehrere Meter hohe Steinberge, deren Besteigen innerhalb weniger Sekunden zu erledigen ist. Und schon ist Buddha glücklich.
Von Edo nach Tokio
Mitte des 19. Jahrhundert war dann Schluss mit der Shogun-Nummer. Um nicht von den vor der Tür lauernden, militärisch massiv überlegenen Briten und Amerikanern zu Brei geschossen zu werden, war Japan gezwungen, sich zu öffnen. Man war sich bewusst, dass wenn man sich seine Autonomie bewahren wollte, man das Spiel der Gegner mitspielen und ihnen darin auf Augenhöhe begegnen müsse. Also wurde der Shogun abgeschafft und der Kaiser wieder zum Chef. Dafür zog er von Kyoto nach Edo. Die Frage nach der offiziellen Hauptstadt war eine heikle Frage. Man entschied sich deshalb, sie nie offiziell zu klären. Darum hat Japan eigentlich zwei Hauptstädte: 京都 (Kyoto) heißt sowas wie Hauptstadt (etwa: 京 = Hauptstadt, 都 = Metropole) und 東京 (Tokio) ist die Hauptstadt im Osten (etwa: 東 = Osten, 京 = Hauptstadt). [Kleiner Exkurs zu den Kanji: 京 bedeutet tatsächlich Hauptstadt, auch in China. Peking wird in China so geschrieben: 北京. Und 北 kennt man in Japan natürlich auch. Das heißt Norden] Faktisch ist Tokio natürlich die Hauptstadt Japans. Das sollte man denen in Kyoto aber besser nicht sagen.
Ein großes Thema sind natürlich auch die Naturkatastrophen, die die Stadt seit jeher heimgesucht haben. Großfeuer sind schon fast lächerlich belanglos. Überflutungen an der Tagesordnung. Selbst an Erdbeben hat man sich gewöhnt. Immer wenn etwas kaputt geht, baut man es halt wieder auf. Das ist sicher einer der Gründe, weshalb Japaner dramatische Schicksalsschläge mit so einer stoischen Ruhe hinnehmen. Aber selbst für leidgeprüfte Japaner war das große Kanto-Erdbeben von 1923 ein ordentlicher Schlag. Mit 8,3 auf der Dingens-Skala kostete es etwa 150.000 Menschen das Leben und legte große Teile von Edo in Schutt und Asche. Und nachdem man sich kurz geschüttelt hat, wurde es eben wieder aufgebaut - größer und moderner als vorher.
Die neu gebaute Stadt hielt sogar mehrere Jahrzehnte. Bis Japan Pearl Harbour bombardierte und die Amerikaner im Gegenzug nicht nur Hiroshima und Nagasaki mit Atombomben bedachten, sondern auch Tokio in Schutt und Asche legten. Nachdem man herausgefunden hatte, wie überaus effektiv Brandbomben gegen Holzgebäude sind, blieb von der Stadt nicht viel übrig. Also nochmal, Schutt weg, neu bauen, moderner werden. Was folgte war ein beispielloser Aufstieg, der Japan nicht nur aus der Samurai-Zeit direkt in die Moderne, sondern zeitgleich zwischenzeitlich an die Spitze der Weltwirtschaft brachte. Sony-Walkman, Nikon-Kamera, Nintendo-Konsole: Das Ende des 20. Jahrhunderts gehörte Japan. Seitdem ist es etwas zäh geworden. Aber Tokio bleibt spannend. Und all das vermittelt das Edo-Museum. Und noch ein bisschen mehr (also alle hingehen bitte).
Und nebenan Sumo
Direkt neben dem Museum befindet sich die Sumo-Halle Tokios (oben auf einem der Bilder das Haus mit dem grünen Dach). Aktuell ist kein Sumo, deshalb war es dort völlig ruhig. Ich bin trotzdem mal schauen gegangen, denn Sumo habe ich ja auch noch auf dem Plan, allerdings in Fukuoka zum großen Kyushu Basho. Immerhin habe ich zwei Pappaufsteller von Sumo-Kämpfern gefunden. Wenn mich meine mäßigen Sumo-Kenntnisse nicht täuschen, sind das Hulk Hogan und Macho Man Randy Savage. Oder die beiden aktuellen Yokozuna, links Kakuryu und rechts Hakuho.
Kurioser Waschmaschinenturm
Von dort ging es weiter nach Ginza, um mir den Nakagin Capsule Tower anzuschauen. In einer Stadt voller kurioser Bauwerke ist das sicherlich eines der ausgefallensten. Entstanden ist das Ganze zu Beginn der 70er-Jahre. Die Idee hinter dem Turm ist, dass jeder der Bewohner seine eigene, individuelle Kapsel hat. Diese sind - theoretisch - einzeln entfern- und erneuerbar. Was in den 70ern nach einer coolen, modernen Idee für die Welt der Zukunft galt, ist heute eher trauriger Beton-Müll. Die Kapseln sind meines Wissens alle nicht mehr bewohnt, seit 2010 gibt es kein warmes Wasser mehr. Und noch etwas länger streitet man, was mit dem Gebäude tun soll. Ganz wenige wollen es behalten, einige komplett abreißen und gegen etwas Normales ersetzen. Und die Mehrheit möchte, dass der Architekt sein Konzept anpasst und man die Kapseln gegen modernere austauscht. Wäre da nicht die Wirtschaftskrise in Japan, man hätte sich vielleicht schon auf einen Plan geeinigt.
Luxus-Shopping in Ginza
Und wo ich schon mal in Ginza bin... Ginza ist hauptsächlich für seine luxuriösen Shopping-Straßen bekannt. Hier gehen die Reichen und Schönen einkaufen und die Armen und Hässlichen zugucken. Ich war auch da. Ansprochen hat mich das natürlich nicht so, all der Krams von Gucci, Glashütte, Dingensbums. Schnell mal drüberlaufen, dann aber auch ganz schnell ab in die U-Bahn.
Auch gar nicht mal so geil: Roppongi Hills
Von Ginza ist es nicht weit bis nach Roppongi. Dort gibt es eines der ambitioniertesten Immobilenprojekte der Stadt zu begucken: Roppongi Hills. Ein Alles-an-einem-Fleck-Projekt, das nach fast 20-jähriger Planungs- und Bauphase Anfang der 2000er-Jahre fertig gestellt werden konnte. Im Herzen der Anlage befindet sich der ganz bescheiden nach dem federführenden Immobilienunternehmer Minouri Mori benannte Mori Tower (irgendwie trumpt es mir gerade etwas). Drumherum gibt es, hm, irgendwie alles. Ein tolles Aussichtdeck, mehrere Kinos, Shoppingcenter, Büros (unter anderem das Hauptquartier der Pokemon Company), Museen, ein japanischer Garten. Aber wie sage ich es am besten? Alles leider gar nicht mal so geil. Eine architektonisch ziemlich uninspirierte Betonwüste, die sich auch nach 15 Jahren noch nicht sonderlich lebendig anfühlt. Alles ist total verwinkelt und unübersichtlich, der Wind pfeift durch die Anlage. Und außer Luxusshopping und ein bisschen Fresskram gibt es doch nicht sonderlich viel. Wartezeit für das Aussichtsdeck: 40 Minuten. Das können wir also ganz klar unter der Kategorie "Muss man nicht machen" verbuchen. Aber auch in der dunkelsten Nacht gibt es ja einen Lichtschein: Und wer lugt da um die Ecke? Mein alter Freund, der Tokyo Tower.
Auf den Tokyo Tower bin ich letztes Jahr aus Zeitgründen nicht drauf. Und wenn man die Wahl zwischen dem Tokyo Skytree und dem Tokyo Tower hat, dann geht man besser auf den Skytree. Weil größer ist ja immer noch größer (634m zu 332m für den Skytree). Aber dieses Jahr habe ich Zeit für Skytrees kleinen, alten Bruder Tower. Der Tokyo Tower wurde 1958 nach Vorbild des Eiffelturms gebaut. Da Japan wie immer ein bisschen knapp in Sachen Stahl war, wurden zu einem Drittel US-Panzer aus dem Koreakrieg eingeschmolzen. Der Turm diente außerdem bis zur Errichtung des Skytree als Fernsehturm. Er ist so konstruiert, dass er das Doppelte des schweren Kanto-Erdbeben in den 20ern aushalten soll. Und auch Taifune bis 220 km/h Windstärke soll er abkönnen. Durch das Tohoku-Erdbeben (das den Tsunami ausgelöst hat, der dann Fukushima überrollt hat) hat sich seine Spitze etwas verbogen. Mal schauen, wie es für ihn weitergeht.
Aber jetzt komme ich erstmal zu Besuch. Da es noch früh genug und der Turm nicht allzu weit entfernt war, entschied ich mich für eine kleine Wanderung. Möglichst einfach immer in Richtung Turm gehen und nur wenn man ihn mal nicht mehr findet, GPS benutzen. Das klappte ziemlich gut und führte mich durch einige sehr interessante Gegenden. Fotos davon gibt's weiter unten. Je näher ich meinem Ziel kam, umso leichter wurde es. Denn es wurde auch dunkel und der Turm leuchtete in orangenem Licht, sodass man ihn auch gut indirekt von überall wahrnehmen konnte. Im näheren Umfeld des Turmes leuchtete dann einfach alles orange, die Sonne war mittlerweile vollständig untergegangen. Mir unklar, wie die Leute in direkter Nachbarschaft nachts schlafen können, wenn alles orange erleuchtet ist. Aber okay, Japaner ertragen ja so einiges.
Im näheren Umfeld des Turmes leuchtete dann einfach alles orange, die Sonne war mittlerweile vollständig untergegangen. Also genau die richtige Zeit für beeindruckende Nachtaussichten vom beleuchteten Tokio. Oder wie der Japaner sagt: ライトアップ (Raitoappu, also quasi Light Up...). Und weil man ja nicht so oft hier ist, gleich das volle Programm bestehen aus Main Deck und Upper Deck. Man gönnt sich ja sonst nichts. Und statt vieler Worte lasse ich einfach mal Bilder weiter unten sprechen. Und noch zwei kleine Videos. Die Fahrt vom Main zum Upper Deck. Und ein kleiner Schwenk über das Upper Deck.


Und das war's dann auch schon für diesen Tag. Danach gab es im Erdgeschoss des Towers noch schnell was traditionell Japanisches von MOS burger. Die sind letztes Jahr in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil es ein paar Kunden nach dem Verzehr ihrer Burger nicht mehr so richtig gut ging. Da helfe ich natürlich gerne beim Wiederaufbau. Und dann schnell ab ins Hotel, auf den nächsten Tag freuen.
Bildergalerie
Kommentare
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Am 27. Oktober, 21:26 Uhr (Japan), 27. Oktober, 13:26 Uhr (Deutschland)So viele schöne und beeindruckende Bilder! Meine Favoriten: Auf dem 3. Platz: der Spiegelturm Auf Platz 2: die Tokyo Skyline Mein persönliches Siegerbild ( vom Bild): die Burg-SchriftrolleAm 28. Oktober, 09:37 Uhr (Japan), 28. Oktober, 01:37 Uhr (Deutschland)Ja, die Schriftrollen waren prima. Und die Burg hat mich natürlich direkt an die weiße Burg in Himeji erinnert. Eins der besten Kirschblütenmotive überhaupt. Wenn die Shinto-Götter es nicht wieder so wie letztes Jahr regnen lassen, bin ich da am 8. November.