Der erste (berühmte) Schrein: 太宰府天満宮
Bevor es losgeht, müssen wir natürlich erst einmal erforschen, worum es da überhaupt geht. Also, das Ding heißt 太宰府天満宮 und wird Dazaifu Tenmangū ausgesprochen. Dazaifu (z wird weich ausgesprochen, wie Sahne) war seit dem 7. Jahrhundert der Sitz der Verwaltung von Kyushu (also der westlichen der vier japanischen Hauptinseln) und war mehrere hundert Jahre lang eines militärischen wie kulturellen Zentren Japans. Heute ist Dazaifu ein Vorort Fukuokas und von mir aus in wenigen Minuten mit der Bahn zu erreichen.
Tenmangū sind Shinto-Schreine, die den 天神 (tenjin) verehren. ist die Shinto-Gottheit der Gelehrsamkeit. Der Tenjin hieß eigentlich mal Sugawara no Michizane, war ein Mensch und lebte Ende des 9. Jahrhunderts. Sugawara hat schon als kleiner Junge tolle chinesische Gedichte verfasst und wurde später ein wichtiger Berater des Kaisers in Kyoto. Dort fiel er jedoch irgendwann einem Intrigenspiel zum Opfer und wurde nach Dazaifu verbannt. In Dazaifu lief es nicht mehr so gut für ihn und er verstarb einsam. Der Legende nach erschien zu seiner Beerdigung nur ein guter Kumpel. Der führte den Ochsenkarren mit seiner Leiche zum Friedhof. Auf dem Weg zum Friedhof hatte der Ochse aber keinen Bock mehr und ließ sich durch nichts in der Welt davon überzeugen, weiterzugehen. Vermutlich war Hochsommer. Der Kumpel Sugawaras hatte irgendwann die Nase voll und dachte sich, vergrab ich ihn halt einfach hier. Und das ist die Stelle, an der heute der Schrein steht.
Aber wieso baut man einem in Ungnade gefallenen Gelehrten einen Tempel, der über tausend Jahre später noch (wenn auch natürlich nicht im Original) steht? Das kam so: Direkt nach Suguwaras Tod gab es Kyoto ziemlich viel Ärger. Die Söhne des Kaisers verstarben, es gab Dürreperioden und anschließend Regengüsse mit Überschwemmungen. Blitze sollen große Teil der Familie, die gegen Suguwara intrigiert hatte, ausgelöscht haben. Dahinter kann ja nur der erzürnte Geist Suguwaras gesteckt haben. Also wurde kurzerhand die Intriganten-Familie entsorgt und Suguwara posthum rehabilitiert. Schon war wieder Ruhe in Kyoto und damit war bewiesen, dass Suguwara offensichtlich zu einer Gottheit aufgestiegen ist.
Er wurde anfangs als Donnergott verehrt. Weil er aber auch zeitlebens so tolle Gedichte geschrieben hat, wurde er dann irgendwann die Gottheit der Gelehrten. Heutzutage pilgern Gläubige gerne vor wichtigen Prüfungen in einen Tenman-gū, um dort um Glück für die bevorstehenden Prüfungen zu bitten. In einen Tenman-gū? Wie viele von den Dingern gibt es denn? Anscheinend so rund 15.000 Stück in ganz Japan. Und der Dazaifu Tenman-gū ist der drei wichtigsten. So, jetzt wissen wir Bescheid.
Der Schrein liegt deutlich außerhalb Fukuokas, ist aber wohl mit dem Zug recht schnell und günstig zu erreichen. Ich hatte das große Glück, direkt von der Schule mit dem Auto abgeholt zu werden und hatte dadurch auch noch eine fachkundige Begleitung dabei. Das Städtchen Dazaifu liegt in malerischen Hügeln und der Schrein ist mitten in der Stadt. Das Gelände des Schreins ist bei weitem größer, als ich erwartet hätte. Es umfasst neben den Haupt- und Nebengebäuden gleich mehrere Gärten, ein wohl hervoragendes Museum zur Geschichte Kyushus (der westlichen Hauptinsel Japans, auf der Fukuoka... wissenseschon!) und es wohnen dort sogar recht viele "Zivilisten".
Auf dem Weg zum Hauptgebäude geht man durch ein beeindruckendes Tor. Diese Tore sind häufig spektakulärer und berühmter als das Hauptgebäude selbst. Ich würde sagen, auf Dazaifu trifft das auch zu. Die Konstruktion ist traditionell japanisch, also wird komplett auf die Verwendung von Metall verzichtet. Japaner finden, dass Metall und Holz nicht gut zusammenpasst. Irgendwann rostet es, dann fällt es auseinander. Stattdessen werden meist Holznägel verwendet. Die werden an strategisch klug gewählten Stellen wie ein Keil in vorgefertigte Schlitze gehämmert. Und schon steht die Bude.
Im Schrein gibt es einige besondere Dinge. Auf dem Gelände des Schreins gibt es etwa 6.000 asiatische Pflaumenbäume (梅 - Pflaumenblüte, gesprochen: Ume). Sugawara hat zu Lebzeiten Pflaumen und Pflaumenbäume geliebt, weshalb das Logo des Schreins auch eine Pflaumenblüte ist. Sein berühmtestes Gedicht handelt natürlich ebenfalls von einem Pflaumenbaum. Rechts vor dem Hauptschrein steht der berühmteste Pflaumenbaum Japans. Angeblich ist er immer der allererste Pflaumenbaum in Japan, der im blüht. Und eigentlich stammt der Baum aus Kyoto. Aber als Sugawara nach Dazaifu verbannt wurde, hat der Pflaumenbaum ihn so sehr vermisst, dass er kurzerhand von Kyoto nach Dazaifu geflogen ist. Geflogen! Ich möchte beide Geschichten anzweifeln, aber ich bin ja auch ein Ungläubiger.
Laut meiner Schreinführerin hatten wir großes Glück, dass während unseres Besuchs im Hauptschrein eine rituelle Reinigung stattfand. Offenbar hat ein Gläubiger einigen Unfug angestellt oder erlebt, von dem er sich reinigen lassen wollte. Im Bild sitzt der Mann halb verdeckt links auf dem Hocker und der Shinto-Priester hockt rechts und beginnt gerade mit dem Ritual. Es gab viel Singsang, dann mussten sich beide mehrfach verbeugen, mehrfach in die Hände klatschen und von vorne. Am Ende hat der Priester noch ein bisschen was auf seiner Trommel gespielt. Der Mann war durch die Hitze so fertig, dass sein Oberhemd am Ende kaum noch hell-, sondern nur noch dunkelblau war.
Vor dem Schrein steht eine Kiste, in die man Geld reinwerfen kann. Dafür darf man dann auch bitten, dass die eigenen Wünsche (natürlich möglichst lern- und prüfungsbezogen) in Erfüllung gehen. Ich habe kurz überlegt, meine gesamte Urlaubskasse hineinzuwerfen und mir zu wünschen, dass ich am nächsten Morgen fließend Japanisch spreche. Aber ich fürchte, so funktioniert es dann doch nicht. Deswegen habe ich mich für ein 100-Yen-Stück (etwa 75 Cent) entschieden und mir gewünscht, dass meine "Abschlussprüfung" an der Sprachschule gut läuft (Spoiler: Die war heute und es war prima!).
Wenige Meter weiter der nächste Stand, an dem man Geld loswerden, äh, etwas über sein Schicksal herausfinden konnte: Eine Art hölzerner Kaugummiautomat, aus dem man für 100 Yen kleine Glückslose ziehen kann. Auf dem Los steht für jede Menge Kategorien einiges an Zeugs, leider natürlich komplett in Japanisch und ich kann so gut wie nichts entziffern. Es gibt aber auch noch eine kurze Zusammenfassung der generellen Qualität des Loses. Ich hatte wohl Qualitätsstufe "ganz okay". Im Text steht angeblich was vonwegen ich solle mich in Geduld üben und dass es Menschen gibt, die mich bremsen wollen, was ich aber nicht zulassen soll. Oder so. Etwas verwirrend alles. Üblicherweise nimmt nur derjenige mit dem besten Los seins mit nach Hause. Die anderen werden an Schnüren in Holzrahmen geknotet. Diese Rahmen kann man gut auf dem Foto vom Haupttor des Schreins sehen. Ich habe mein mittelprächtiges Los aber dennoch mitgenommen, ist ein schönes Andenken. Und wer weiß, vielleicht kann ich es in zehn Jahren ja sogar lesen.
Wenige Meter weiter der nächste Stand zum Geldlassen: Dort habe ich mein erstes Goshuin erhalten. Das habe ich ja bereits erzählt. Und ich finde es immer noch großartig. Ansonsten ist der Schrein vollgestopft mit schönen, typisch japanischen Dingen. An einer Stelle mit etwas Wind hingen unzählige japanische Windspiele. Was aussieht, als wären es einfach nur abgebrochene Weingläser mit einem Klöppel dran, hat eine jahrhundertelange Tradition und ein Konzept. Der Klang soll nicht nur schön sein, sondern auch so erfrischend, dass er ein wenig Erleichterung von der brütenden Sommerhitze bringt. Dafür muss das Glas genau die richtige Form und Spannung haben. Üblicherweise wird der Rand unten aufgerauht, sodass das Klingen noch feiner wird.
Wenige Meter weiter gab es diverse kleinere, japanische Garten-Ensembles. Unter anderem ein schicker Teich voller Kois und Schildkröten, geziert von alten, japanischen Kiefern und einer roten Brücke. Und natürlich dürfen japanische Steinlaternen nicht fehlen. Die im Schrein trugen alle das rote Pflaumenblütenlogo, was durch den Kontrast zu dem grünen Moos besonders schön zur Geltung kam.
Die Japaner stehen wie die Deutschen total auf Moos. Wobei die Japaner nicht nur das in Geldform toll finden. Während man das natürliche Moos ja gerne mit allen nur erdenklichen Mitteln bekämft, hegt und pflegt der Japaner sein Moos. Es gibt ganze Gärten, die sich ausschließlich dem Thema Moos widmen. Das Moos dort ist dann teilweise mehrere Jahrhunderte alt und sieht wirklich toll aus. Im Dazaifu Tenmangu gibt es deswegen auch an jeder Ecke eine Menge Moos. Unter anderem gab es einen abenteuerlich wirkenden, uralten Baum, der aus eigener Kraft kaum mehr stehen konnte, der von oben bis unten mit Moos bewachsen war.
Eigentlich gab es fast jeden Meter irgendwas Spannendes zu gucken. Durch ein Nebentor konnte man eine Art Monolithen mit goldenen Kanjis sehen. Ich habe keine Ahnung, was für eine Bedeutung er hat. Lesen kann ich die Inschrift natürlich auch nicht. Aber immerhin das erste Kanji kann ich erkennen. Das ist das fünfte Kanji, das ich gelernt habe, denn das ist 五 > Fünf (gesprochen: Go). Wenn ich die Bedeutung irgendwann noch erfahren sollte, melde ich mich.
Man hätte sich noch viel mehr anschauen können. Der Schrein hat natürlich einen kleinen Wald voller Pflaumenbäumen. Auf dem Gelände befindet sich außerdem das Kyushu National Museum, das sich sehr lohnen soll. Aber es wurde langsam dunkel. Im Eingangsbereich gibt es innerhalb des Schreins eine Straße, an der neben einigen Wohnhäusern vor allen Dingen Souveniershops, Restaurants und Cafés sind. Unter anderem hat sich gar ein Starbucks hierher verirrt (die Kackdinger haben sich mittlerweile wie eine Seuche über ganz Japan ausgebreitet, es gibt wohl mittlerweile mehrere tausend davon). Amüsante Vorstellung, jemand in Deutschland käme auf die Idee, im Kölner Dom eine Starbucks-Filiale zu eröffnen.
Auf der Einkaufsmeile wird eine ganz besondere Köstlichkeit frisch hergestellt, die hier in Dazaifu zu Ehren des Tenman erfunden wurde: 梅が枝餅 (gesprochen: Umegae Mochi) Mochi sind kleine, süße, klebrige Reisküglein, die in der Regel eine süße Füllung haben. Umegae Mochi sind mit süßer Azuki-Bohnenpaste gefüllt, tragen den Pflaumenblütenstempel des Schreins und sind so frisch und heiß, dass man nach direkt dem Kaufen aufpassen muss, sich die Finger nicht zu verbrennen. Hat man sie etwas abkühlen lassen, schmecken sie wirklich fantastisch.
Ich muss sagen, insgesamt bin ich von den Dienstleistungen des Schreins wirklich beeindruckt. Hier bekommt man für sein Geld wirklich was geboten. Das war sicher nicht der letzte Schrein, den ich besichtigt habe.
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Kommentare
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Am 18. August, 02:22 Uhr (Japan), 17. August, 19:22 Uhr (Deutschland)Schöner Bericht! Schule und Fukuoka sind nun vorbei. Guten Flug nach Tokio. Ich hoffe alles geht gut und alle Japan-Reisende sind dann bald in Tokio vereint.Am 18. August, 10:44 Uhr (Japan), 18. August, 03:44 Uhr (Deutschland)Und Schule und Fukuoka waren beide spitzenmäßig. Ich wusste ja nicht so wirklich, was mich erwartet. Aber selbst die besten Erwartungen sind nochmal deutlich übertroffen worden. Meine Klamotten sind fast fertig gemacht. Jetzt noch etwas Saubermachen und dann geht es zum Flughafen.
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Am 18. August, 00:54 Uhr (Japan), 17. August, 17:54 Uhr (Deutschland)Jan, ich finde deine detaillierten täglichen Berichte einfach klasse! Ich erfahre so viele Dinge über Japan, dass ich mich nicht mehr selbst auf den Weg dorthin machen muss. 😂Am 18. August, 10:43 Uhr (Japan), 18. August, 03:43 Uhr (Deutschland)Das freut mich. Aber Du machst Dir kein Bild, was Du hier alles verpasst. Alleine schon die Menschen, wie nett, freundlich und entspannt die sind. Wie sehr man aufeinander achtet und wie angenehm ruhig alles ist. Das werde ich in Deutschland sicher vermissen. Apropos Vermissen: Es könnte sein, dass es in den nächsten Tagen weniger Berichte und Bilder gibt. Jetzt geht ja der Urlaubsstress so richtig los.
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Am 19. August, 00:16 Uhr (Japan), 18. August, 17:16 Uhr (Deutschland)Hat dieser Sugawara wirklich chinesische Gedichte geschrieben?Am 19. August, 11:22 Uhr (Japan), 19. August, 04:22 Uhr (Deutschland)Wikipedia sagt Ja. Und das schon mit elf, oder so. Dabei konnte damals kaum jemand schreiben. Die Schrift haben die Japaner erst von den Chinesen bekommen.