Traurig schönes Hiroshima
Angekommen in Hiroshima bin ich nach Einbruch der Dunkelheit und konnte deshalb nur erahnen, was für eine Stadt Hiroshima so ist. Direkt als nicht so gut aufgefallen war mir bereits, dass Hiroshima nicht über ein komfortables U-Bahn-Netz verfügt. Stattdessen setzt man hauptsächlich auf ein etwas verwirrendes Straßenbahnnetz und Busse. Auf beides hatte ich nicht allzu viel Lust, weshalb ich die meisten Strecken zu Fuß zurückgelegt habe. Das klappte soweit auch ganz gut.
Was ich leider erst nach meiner Abreise aus Hiroshima erfahren habe: Es gibt in Hiroshima eine ziemlich kuriose ÖPNV-Linie, die Skyrail Midorizaka Line. Das Ganze kann man sich in etwa so vorstellen, als hätte die Schwebebahn in Wuppertal mit einer Seilbahn ein Kind gezeugt. Hab ich für den nächsten Besuch mal vorgemerkt. Hier ein (natürlich nicht von mir aufgenommenes) Video der Bahn:

Ansonsten macht der Stadtkern Hiroshimas auch bei Tageslicht einen eher gewöhnlichen, schmucklosen Eindruck, aber ohne dabei unangenehm zu sein. Das für die Stadt vermutlich einschneidendste Ereignis im zweiten Weltkrieg bemerkt man natürlich an fast jeder Ecke. Mein Hotel lag direkt am Peace Boulevard, der in Erinnerung an den Atombombenabwurf so benannt worde. Gut, dass ich dieses Hotel gebucht habe, war nicht völlig zufällig. Der Peace Boulevard führt wenig überraschend direkt zu den Gedenkstätten und die standen ganz oben auf meiner Besichtigungsliste. Da ich bereits am nächsten Morgen nach Nagasaki weiterreisen wollte, habe ich natürlich schnell meinen Koffer vorgeschickt. Das gestaltete sich diesmal gar nicht so einfach. Auch wenn die beiden Mitarbeiter an der Rezeption gewohnt bemüht und höflich waren, konnten sie leider überhaupt kein Englisch und verstanden so nicht wirklich, was sie von mir wollten. Ihre Versuche, mir ihre Fragen mithilfe eines ulkigen Übersetzungs-Tamagotchis verständlich zu machen, scheiterten leider ebenso, was ihnen extrem unangenehm war. Also musste ich mir ein Herz fassen und es wohl oder übel mit meinem rudimentären Japanisch probieren. Mit ein paar Vokabeln, Halbsätzen, Händen und Füßen, klappte es dann. Es war mühsam, aber am Ende waren wir alle erleichtert und froh, als das Formular erfolgreich ausgefüllt und an den Koffer gehängt war. Gute Reise, Koffer!
Nun aber schnell im 7-Eleven Frühstück gekauft und den Boulevard hoch zum Motoyasu, einem der Nebenflüsse des Ota, die das Zentrum Hiroshimas durchziehen.
Bei angenehmen Temperaturen und nahezu perfektem Wetter ist der Fluss schnell erreicht. Und von hier sind es nur wenige Meter zum ikonischen Friedensdenkmal.
Das 1915 als Produktausstellungshalle gebaute Gebäude erlangte weltweite Berühmheit, da fast senkrecht über ihm am 6. August 1945 das erste Mal in der Geschichte eine Atombombe über einer Stadt gezündet wurde. Vor dem Gebäude zu stehen, ist tatsächlich etwas schauderhaft. Wenn man sich vorstellt, dass an dieser Stelle vor knapp 75 Jahren eines der schlimmsten Verbrechen aller Zeiten stattgefunden, tausende Menschen auf der Stelle und vermutlich Hunderttausende bis Millionen über die Jahre getötet hat. Und wenn wir schon mal über Hiroshimas gruselige Geschichte reden, wollen wir natürlich gleich mal in's Detail gehen.
Die Geschehnisse des 6. August 1945
Im August waren die schrecklichsten Zeiten des zweiten Weltkriegs global vorbei, Deutschland hatte bereits seit fünf Monaten kapituliert. Aber wie das bei so einem Weltkrieg ist, dauert es natürlich, bis überall Ruhe herrscht. Insbesondere Japan sah nach wie vor nicht ein, wieso man sich ergeben und mit dem unfassbaren Kriegsgräuel aufhören sollte.
In den letzten Kriegsjahren forschten diverse Kriegsparteien mal mehr, mal weniger erfolgreich an einer neuen Superwaffe, die wie keine vor ihr das Kriegsgeschehen bis zum heutigen Tage verändern sollte: Die Atombombe. Allerdings wusste keine Partei so wirklich, wer bereits eine einsatzfähige Bombe besaß und auch gewillt war, diese einzusetzen. Für die Kriegsstrategen sicherlich eine sehr unangenehme, unkalkulierbare Situation.
Wie sich herausstellte, sollten die Amerikaner das Wettrennen gewinnen, sowohl was den Bau als auch die Einsatzbereitschaft anging. Über Jahrzehnte hielt sich eine Theorie, wonach die Amerikaner dann zwei ihrer neuen Atombomben auf Japan abwarfen, um Japan schneller zur Kapitulation zu bewegen und so noch größeres menschliches Leid zu verhindern. Diese Geschichte ist heute recht eindeutig als Unsinn widerlegt.
In Wirklichkeit trug es sich wohl so zu, dass die Amerikaner wussten, dass sich Russlands Armee langsam in Richtung der von Japan besetzen Mandschurei bewegte. Noch war Russland nicht in den Krieg mit Japan eingetreten, aber dennoch wollten die Amerikaner auf jeden Fall verhindern, dass die Japaner gegenüber den Russen kapitulierten und somit deren Kriegsbeute würden.
Eigentlich waren die Amerikaner zuversichtlich, dass der viele Regen und die entsprechenden Matsch-Seen in und um die Mandschurei die Russen lange genug aufhalten würden, bis die USA Japan aufgabereif gebombt hätte. Allerdings hatten sie da die stumpfe Starrköpfigkeit der Russen unterschätzt. Deren ja eher minderwertige Panzer frästen sich erstaunlich schnell in Richtung des von Japan besetzten Gebietes. So war es vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis sie Japan den Krieg erklären und dann vermutlich auch zur Aufgabe zwingen könnten. Zeit zu handeln!
Man wusste bereits, dass sich für die erste Version der Atombomben nicht jede Art Stadt gleich gut eignete. Den größten Effekt versprach man sich von einer Stadt, die in einem Bergkessel liegt, dort dann aber möglichst eben ist. Prominentester Kandidat dafür in Japan ist Kyoto. Zu Kyotos Glück war jedoch ein hochrangiger Militär an der Entscheidung beteiligt, der vorher jahrelang als US-Botschafter in Kyoto gelebt hatte. Der konnte seine Kollegen überzeugen, dass der kulturelle Schaden so immens sein würde, dass die Notwendigkeit des Bombenabwurfs später nur schwer dem Rest der Welt zu vermitteln sei. Und so fiel die Wahl auf Hiroshima und Nagasaki, die von der Lage her ähnlich gute Bedingungen lieferten. Und zumindest Hiroshima war eines der Zentren für die japanische Militärindustrie. Gut für Kyoto, ziemlich blöd für Hiroshima und Nagasaki.
Und so startete in der Nacht des 6. August 1945 die Enola Gay (Benannt nach der Mutter des Piloten. Die war sicher wahnsinnig stolz.) von Tinian - einer kleinen Insel im Pazifik - und flog gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Flugzeuge in Richtung Japan. In den Morgenstunden näherten sie sich Japan und wurden von der japanischen Flugaufklärung identifiziert. Japan schätzte die Gruppe aber als nicht gefährlich ein. Um Ressourcen zu sparen, ließ man bereits seit einiger Zeit gegen kleinere Bombergruppen einfach über das Land fliegen. Nachdem ein vorausfliegender Bomber das Wetter überprüft und für gut befunden hatte, steuerte die Enola Gay Hiroshima an und ließ um 8:15 Uhr Ortszeit die 64 Kilogramm schwere Bombe mit dem süßen Namen Little Boy fallen. Die Bombe fiel 44 Sekunden bis auf 580 Meter Höhe und detonierte.
Die Bombe explodierte um 8:16 Uhr und zwei Sekunden. Das anvisierte Ziel (die Aioi-Brücke, zu sehen auf dem obigen Bild links neben dem Friedensdenkmal) wurde aufgrund von etwas Wind um wenige hundert Meter verfehlt, was aber aufgrund der Heftigkeit der Explosion ziemlich egal war. Man geht davon aus, dass 70.000 bis 80.000 Menschen (größtenteils japanische Zivilisten und Zwangsarbeiter) auf der Stelle tot waren, immerhin etwa ein Drittel aller Einwohner Hiroshimas. Der Blitz der Explosion brannte die Schattenumrisse von Menschen in Häuserwände. Viele Menschen in der direkten Nähe der Explosion verdampften auf der Stelle. Einigen verdampften nur die oberen Hautschichten und sie erlagen kurze Zeit später ihren Verletzungen (Wer Bock auf richtig schlechte Laune hat: Im Internet gibt es unzählige Bilder von Menschen mit herunterhängenden Hautfetzen). Da ein Großteil der Gebäude aus Holz waren (was mit einer der Gründe der Amerikaner für die Wahl Hiroshimas war), fegte ein Feursturm durch die Stadt und tötete unzählige weitere Menschen. Das ist auch der Grund, wieso das Friedensdenmal so berühmt wurde: Es war eines der wenigen Betongebäude in der Innenstadt. Und da die Bombe quasi senkrecht über ihm explodierte, schlug die Druckwelle nur die Dächer und Decken aus dem Gebäude und die Wände blieben stehen.
Natürlich starben viele Menschen an den hohen Strahlendosen. Durstige tranken das kontaminierte Wasser aus dem Fluss und verbluteten innerlich. Der einer Atomexplosion folgende schwarze Regen tötete weitere Menschen. Im Umkreis von 500 Metern starben 90 Prozent, im Umkreis von einem Kilometer 59 Prozent der Menschen sofort. Die Angabe späterer Todesfälle ist nicht so einfach, Studien gehen davon aus, dass bis Ende 1946 etwa 90.000 bis 166.000 Menschen an den direkten Folgen der Bombe gestorben sind. Man geht davon aus, dass bis in die 90er knapp zehn Prozent der Krebstoten in Hiroshima auf den Bombenabwurf zurückzuführen sind.
Aufgrund der mittlerweile völlig zerstörten Infrastruktur in Japan dauerte es Tage bis die Nachricht des vollen Ausmaßes aus Hiroshima Tokio erreichte. In der Zwischenzeit hatte Russland Japan den Krieg erklärt (die offizielle Kriegserklärung an die japanische Botschaft in Moskau soll allerdings Tokio nie erreicht haben) und die Hoffnung, man könne sich mit Russland einig werden, schwand. Dennoch sprach sich insbesondere das Militär weiterhin gegen eine Kapitulation aus. Die USA informierten die japanische Bevölkerung mit Flugblättern über die Geschehnisse in Hiroshima und dass sie ihre Regierung zur Aufgabe bringen solle. Am 9. August fast auf die Minute zu dem Zeitpunkt, als die zweite Atombombe auf Nagasaki fiel, tagte erneut das Kriegskabinett in Tokio und diskutierte über dubiose Bedingungen an die Amerikaner für eine Kapitulation. Die Diskussion verlief ergebnislos. Die Bombe in Nagasaki tötete noch einmal etwa 70.000 bis 80.000 Menschen. Und so langsam wurde Japan klar, dass man nicht mehr wirklich in der Position für Bedingungen war. So kürzte man die eigenen Bedinungen auf ein Minimum zusammen. Besonders wichtig war Japan, sein traditionsreiches Kaisertum behalten zu dürfen. Da ihnen ziemlich klar war, was Russland dazu sagen würde, verhandelte man mit den USA. Die Amerikaner fanden jetzt Kaiserreiche auch nicht mehr so richtig cool, sicherten den Japanern aber zu, dass sie ähnlich dem britischen Modell eine Demokratie mit repräsentativem Adelstheater werden dürften. Und da ein repräsentativer Kaiser immer noch besser als gar kein Kaiser ist, wurde man sich mit den USA einig. Und so hörten die Japaner am 15. August - knapp eine Woche nach dem Bombenabwurf auf Nagasaki - das erste Mal in der japanischen Geschichte die Stimme ihres traditionell sonst sehr verschlossenen Kaisers, der im Radio die Kapitulationserklärung verlas. Ob die Geschichte ohne den Abwurf der Atombomben anders verlaufen wäre, ist natürlich Spekulation. Die Geschichtsforschung geht jedoch heute davon aus, dass sie nicht aus humanitären (sprich: Noch mehr Blutvergießen, insbeondere amerikanischer Soldaten im Falle einer Invasion), sondern strategischen Gründen abgeworfen wurden und zu den vermutlich schlimmsten Einzel-Kriegsverbrechen aller Zeiten zählen dürften.
Sadako Sasaki und das Kinder-Friedensdenkmal
Auf der dem Friedensdenkmal gegenüberliegenden Seite des Motoyasu befindet sich der Friedenspark. Hier besonders bekannt ist das Kinder-Friedensdenkmal. Auf dem Denkmal steht "„Das ist unser Schrei, das ist unser Gebet, für eine Welt des Friedens. " und im Inneren befinden sich eine Glocke und Papierkraniche. Um das Denkmal herum stehen Vitrinen voller Papierkraniche, die Kinder aus aller Welt gefaltet haben. Das Denkmal wurde in Erinnerung an Sadako Sasaki errichtet.
Sadako war zwei Jahre alt, als die Atombombe über Hiroshima gezündet wurde. Sie befand sich bei ihrer Mutter zuhause etwa anderthalb Kilometer vom Ort der Zündung entfernt. Die Explosion war aber selbst hier noch so heftig, dass sie Sadako aus dem Fenster schleuderte. Ihre Mutter fand sie jedoch überraschenderweise vollkommen unverletzt. Die Mutter floh mit Sadako sofort aus der Stadt. Dabei wurden sie allerdings vom einer Atombombenexplosion häufig folgenden, extrem radiokativen schwarzen Regen erwischt.
Anfangs schien auch das für Sadoko folgenlos zu bleiben. Neun Jahre später allerdings wurden bei ihr erst Schwellungen an Hals und Ohren und kurze Zeit später Purpura - Blutungen in und unter der Haut - an den Füßen festgestellt. Kurze Zeit später wurde Leukämie diagnostiziert und sie musste ins Krankenhaus.
Dort erzählte ihr Vater ihr von der japanischen Geschichte, dass man, wenn man einen ganz besonders wichtigen Herzenswunsch hat, 1000 Origami-Kraniche falten muss. Und dann wird der Wunsch von den Göttern erhört. Das Falten der Kraniche bestimmte nun Sadokos Alltag. Sie faltete etwa 1300 Kraniche, allerdings wurde ihr Wunsch nach einem längeren Leben nicht erhört. Wenige Wochen nach der Einlieferung ins Krankenhaus starb sie im Alter von 12 Jahren.
Ihre ehemaligen Mitschüler waren von ihrem Schicksal so berührt, dass sie Briefe und Bilder in ihrem Andenken veröffentlichten. Die Aktion erreichte so viele Leute, dass schnell eine ganze Menge Geld zusammen kam. Es entstand die Idee, dieses für ein Kinder-Friedensdenkmal in Andenken an Sadoko zu verwenden. Nach einer Spendenaktion war dann tatsächlich genug für das Denkmal zusammen. Bis zum heutigen Tag basteln Kinder aus aller Welt, die in der Schule von der traurigen Geschichte hören, Kraniche, die neben dem Denkmal präsentiert werden. Und seit ein paar Jahren gibt es sogar in Köln einen Anti-Atombomben-Gedenkstein, der in Erinnerung an Sadoko einen Papierkranich zeigt.
Auf dem Weg zum Friedensmuseum
Geht man vom Kinder-Friedensdenkmal in Richtung Süden am Ufer durch den Friedenspark, gelangt man von hinten an das Friedensmuseum. Klar, könnte man sich ohne Probleme über diese penetrante Dichte von Friede, Freude und Eierkuchen aufregen oder lustig machen. Aber aufgrund der unaufdringlichen Art, wie man das Gedenken an dieses schlimme Kriegsverbrechen nutzt, um es ohne Verurteilungen positiv in einen Wunsch auf möglichst viel Frieden in der Zukunft nutzt, funktioniert sehr gut.
Bevor ich mir das Friedensmuseum geben wollte, war mir erstmal noch nach einer kurzen Kaffeepause. So setzte ich mich in den gemütlichen Park und beobachtete das Treiben. Auch hier fiel wie in Himeji auf, wie viele Schulklassen unterwegs waren. Es gibt einiges an Kritik, wie die Japaner ihre Kriegsgeschichte aufarbeiten. Aber der offene und ehrliche Umgang hier mit dem Thema ist definitiv positiv zu bewerten.
Und weil das hier ein Kinobesuch, sondern ein Bildungsausflug ist, scheinen viele der Kinder auch ein paar Arbeitsaufträge mitgebracht zu haben. Einige Gruppen laufen mit einem Quiz-Zettel durch den Park und müssen Fragen beantworten. Und wieder andere Gruppen haben eine für Japaner geradezu gruselige Aufgabe: Sie sollen ausländische Touristen Fragen stellen. In Englisch! Heidewitzka! Überraschenderweise wurde ich während meiner Kaffeepause gleich von zwei Gruppen als Nicht-Japaner enttarnt und um ein kurzes Interview gebeten. Die Fragen gingen von "Warum sind Sie nach Hiroshima gereist?" über "Wie schätzen Sie die weltweite Kriegsgefahr ein?" bis hin zu aktuellen Bedrohungen für die Menschheit. Das erste Interview führten ich sitzend, während die beiden wahrscheinlich etwa 12 Jahre alten Jungs vor mir standen. Sie waren sichtlich nervös, stammelten anfangs ein wenig vor sich hin, fingen sich dann jedoch schnell und hatten dann Freude daran, ihre Fremdsprachenkenntnisse zu erproben. Am Ende fragten sie mich - vermutlich für ihre Präsentation oder als Beleg - nach einem Gruppenfoto. Als ich mich neben sie stellte und sie merkten, dass ich etwa doppelt so groß wie sie sind, waren sie erst wieder etwas eingeschüchtert. Der eine flüsterte auf englisch: "Wow, Sie sind groß!", was ich auf japanisch bestätigte. Da mussten beide tierisch grinsen und waren sichtlich stolz, dass sie sich getraut haben, mit diesem seltsamen Riesen aus Deutschland zu sprechen. Wir sagten alle artig Danke und Viel Spaß auf Englisch und Japanisch und sie machten sich auf die Jagd nach dem nächsten Ausländer. Voll niedlich!
Im Friedensmuseum
Nach dieser wirklich schönen Episode fühlte ich mich bereit, mir das Friedensmuseum anzutun. Antun trifft es schon recht genau, denn der Besuch ist tatsächlich sehr heftig. Wie man auf dem Foto oben sehen kann, ist das Museum ein auf Säulen stehnder Flachbau, der stark an Bauhaus erinnert. Rechts und links des Hauptgebäudes gibt es über je einen Tunnel zwei Nebengebäude (im Foto nicht zu sehen). Betritt man das Museum, geht es die Treppe hoch und es geht los. In Schlangenlinien wird man an verschiedensten Themenbereichen durch das Gebäude geführt. Die meisten Räume sind sehr dunkel und zeigen Exponante und dazugehörige, sehr persönliche Geschichten. Das führt zu einer sehr gedämpften Stimmung, wie ich sie bisher nur in NS-Gedenkstätten erlebt habe. Entsprechend fand ich es sehr unpassend, hier mit dem Fotoapparat alles kurz und klein zu knipsen und habe die Kamera in der Tasche gelassen. So hielten es eigentlich auch alle Besucher, bis auf eine wirklich verrückte Gruppe Lions-Club-Mitglieder von den Philippinen. Club und Herkunft konnte man von ihren Jacken, die stilistisch irgendwo zwischen "geschmackloser Indianer" und Hell's Angel aussahen, ablesen. Und die liefen sich selbst mit ihren iPads (ja, nicht iPhones) filmend durch das Musuem. Kann man mal machen.
Zu Beginn der Route gibt es erstmal eine kleine Einführung in die Geschehnisse. Anhand von einigen Übersichtskarten und großen Modellen werden die Dimensionen der Explosion veranschaulicht. Und dann geht es mit den persönlichen Geschichten vieler Opfer der Katastrophe los. Die Opfer werden mit Namen und Fotos vorgestellt, es wird ihre bisherige Lebensgeschichte beschrieben. Und dann sehr detailliert, was ihnen durch den Bombenabwurf widerfahren ist. Die Geschichten werden mit weiteren Fotos und falls vorhanden Originalexponanten ergänzt. Und da steht man dann zwischen all den Leuten, die in Gedanken versunken die Geschichten lesen und blickt auf zerrissene, blutgetränkte Schuluniformen, halb geschmolzene Dreiräder und viele, viele unangenehme Krankenhausbilder. Zwischen den Geschichten gibt es immer mal wieder Infobereiche, in denen dann zum Beispiel die einige durch die Bombe verursachten Erkrankungen beschreibt. Es gibt einges an Exponanten, das verdeutlicht, wie heftig die Explosion Stahltürme und Mauerwerk zerlegte. Es gibt Bilder, wie die Innenstadt direkt nach der Explosion aussah. Im Vergleich von den Bildern des z.B. völlig zerbombten Kölns ist hier alles noch viel mehr dem Erdboden gleichgemacht worden. Teils sind ganze Flächen wirklich nur noch wenige Zentimeter hoch, wo kurz vorher noch Gebäude standen. Und das alles innerhalb von Sekunden. Wer es sich nicht vorstellen kann, in der Google-Bildersuche und in der Wikipedia gibt es einiges an Bildmaterial.
Natürlich wird hier auch die Geschichte von Sadako Sasaki erzählt. Aber die kennen wir ja schon. Im späteren Teil der Tour geht es dann eher um die Folgeschäden des Bombenabwurfs. Das ist nicht weniger unangenehm, insbesondere weil die Fotos durch die immer besser werdende Bildqualität noch schockierender werden. Und die Bandbreite an Missbildungen ist sehr heftig. Spätestens da kommt man dann langsam an einen Punkt, wo es einfach reicht und man nicht noch mehr Schrecklichkeiten aufnehmen möchte. Aber dann hat man die Tour des Grauens auch schon fast geschafft. Ganz zum Schluss gibt es noch einiges an Informationen über die Technik von Atombomben, sowie die politischen Hintergründe rund um den Abwurf. Dabei wird auch nochmal auf gewohnt vorsichtig-japanische Art mit dem amerikanischen Propagandamythos, die Bombenabwürfe seien ein Akt der Menschlichkeit gewesen, aufgeräumt. Im Gegensatz zum Kriegsreste-Museum in Ho-Chi-Minh-Stadt wird man am Ende nicht noch schnell in eine bunte, hoffnungsvolle "Frieden für die Welt!"-Dusche gestellt, sondern mit seiner Stimmung allein in die Wirklichkeit entlassen. Das funktioniert aber auch ganz gut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer nach dem Besuch denkt "Jo, Atombombe ist ja eigentlich schon ganz geil!". Ein wirklich sehr beeindruckendes Musuem.
Wer übrigens Interesse an einer berührenden, persönlichen, stark autobiografischen Geschichte des Bombenabwurf hat, dem kann ich Barfuß durch Hiroshima sehr empfehlen (Das Buch wurde natürlich auch im Museums-Shop verkauft). Übrigens ein guter Einstieg in's Manga-Lesen. Die Bücher zeigen sehr eindrucksvoll, dass "Comics" nicht gleichbedeutend mit niveaulosem Schund und Kinderkram sind und gehören definitiv zu meinen Lieblingsmangas. Und wer lieber einen Film schauen möchte, kann den Ghibli-Klassiker Die letzten Glühwürmchen gucken. Der hat zwar keinen direkten Hiroshima-Bezug, fängt die Stimmung aber auch sehr gut ein.
Zeit für was Schönes
Da ich in Hiroshima leider nur einen Tag Zeit hatte und der Tag ja auch erst knapp halb vorbei war, war noch genug Zeit für ein weiteres Erlebnis. Nachdem mich die ganze Friedenspark-Geschichte doch ziemlich runter gezogen hat, durfte es ruhig mal etwas nicht ganz so tief gehendes sein. Zum Glück wusste ich, dass es direkt vor der Küste Hiroshimas eine berühmte, kleine Insel Miyajima gibt, die man per Boot in wenigen Minuten erreichen kann. Aber ob ich das zeitlich noch schaffe? Mal eine kurze Kuchenpause einlegen und dabei meinen virtuellen Reiseleiter von Google Maps nach einer Verbindung zur Insel fragen. In 20 Minuten fährt ein Boot nur etwa hundert Meter von meiner Pausenbank entfernt ab? Superstark! Also schnell ein Ticket für Hin- und Rückfahrt gekauft und ab auf das Schnellboot. Erst schipperte es noch ein wenig gemütlich durch die Flüsse Hiroshimas, bog dann ab in Richtung Hafenbecken und als wir erstmal bisschen auf dem Meer waren, wurde durchgestartet. Mit ordentlich Speed kachelten wir in Richtung Miyajima.
Auf der Insel mit dem Tor
Die Fahrt nach Miyajima war schon spitze, die Insel selbst ist aber auch auf jeden Fall einen Besuch wert. Die Insel ist etwa 10 mal 2 Kilometer groß, besteht jedoch größtenteils aus hügeligem Urwald. Die Schiffe legen am Nordufer an und von hier kann man gemütlich etwa einen Kilometer an der Westküste entlang spazieren zum berühmtesten Torii (so einem roten, japanischen Tor) der Welt. Ich war schon vorbereitet, dass das leider aktuell vollständig eingerüstet ist und renoviert ist. Und schön transparent: Auch beim Ticketkauf für das Boot wurde laut und deutlich auf den Zustand hingewiesen. Dar natürlich schon schade, weil ich das Torii wirklich spitze finde. Aber es war auch so total schön und so habe ich einen sehr guten Grund, nochmal nach Miyajima zu fahren.
Als ich dann endlich auf Miyajima erreicht hatte, war es bereits nachmittag. So richtig viel Zeit blieb mir also nicht mehr bis zum Sonnenuntergang, aber auch kein Grund, sich zu stressen. Direkt hinter dem Bootsanleger gibt es einen größeren Parkplatz und hier wurde ich an ein Detail über die Insel erinnert, das ich vergessen hatte: Ähnlich wie in Nara ist die Insel von extrem zutraulichen Wild bevölkert, das auch hier schon langsam eher zu einer Plage wird.
Auch wenn es an jeder Ecke Schilder gibt, dass man die Tiere nicht füttern oder streicheln soll, hält sich da kaum jemand dran (Und dass ich das Vieh auf dem Parkplatz gestreichelt habe, muss ich ja nicht verraten). Die Interaktion der Japaner mit den Tieren zu beobachten, ist sehr unterhaltsam. Wenn man nett ist zu einem Reh, sieht das so aus:
Wer jedoch meint, er könnte die Viecher verarschen und Quatsch mit ihnen anstellen, bekommt schnell Probleme:
Ganz so dramatisch war es natürlich nicht. Die beiden Damen hatten trotz des aggressiven Verhaltens des Tieres noch Spaß und mussten auch nicht anschließend in ein Krankenhaus geflogen werden.
Wenige Meter weiter erreichte ich die Strandpromenade der Insel. Hier wäre ich dann allerdings um ein Haar Opfer eines höchst unangenehmen Monsters geworden: Einer japanischen Hornisse! Von denen hatte ich schon einiges gehört und wollte unbedingt mal welche sehen. Es war zwar nur eine, aber man muss schon sagen: Auch wenn man sich nicht vor Angst in die Hose macht, signalisieren sie aufgrund ihrer Größe und Fluggeräusche, dass man sich nicht unbedingt mit ihnen anlegen möchte. Und man kann sich gut vorstellen, dass sie in größeren Schwärmen tatsächlich mehr als nur unangenehm sein dürften.
Also mal lieber aufgepasst, dass der Mund nicht zu weit offen steht und weiter die Promenande herunter. Auch wenn die Temperaturen in Japan mittlerweile weit von Badewetter entfernt waren, machte der Strand wirklich etwas her, insbesondere aufgrund einer malerischen Hintergrundskulisse. Da könnte man ja glatt mal ein Video (mit ein bisschen Herumgewackel...) von machen.

Weiter am Strand entlang biegt man um die nächste Ecke und steht quasi direkt vor dem Itsukushima-Schrein, zu dem auch das berühmte, im Meer stehende Torii gehört. Allerdings war das Torii nicht nur wie erwartet vollständig eingerüstet, sondern stand auch gar nicht im Meer. Vor Hiroshima gibt es nämlich recht starke Gezeiten und während meines Besuches war Ebbe. Das sorgt für einen deutlich weniger spektakulären Eindruck von Schrein und Torii, aber dafür kann man überall hinlatschen und gucken. Ein fairer Tausch.
Also schlenderte ich erstmal ein wenig durch das Watt (Heißt das hier überhaupt auch Watt? Man weiß es nicht.). Es roch angenehm nach Meer und gab eine Menge zu schauen. Hinter dem Schrein liegt noch ein kleines, touristisch ausgerichtetes Dörfchen und den Strand weiter herunter wird es schnell verdammt gemütlich. Schade, dass es schon so spät war und ich gerne noch den Schrein besuchen wollte. Ansonsten hätte ich hier prima ein paar Stündchen Pause machen können.

Auf einem Hügel hinter dem Itsukushima-Schrein befinden sich ein ziemlich netter Pavillion und eine Pagodo. Ein paar hundert Yen (einsfuffzich Euro etwa) Eintritt, nimmste mit. Und ist ebenfalls ein sehr schöner Ort zum Entspannen. Für mich hieß es aber auch hier mal wieder: Weiter, weiter! Zum Itsukushima-Schrein.
Jetzt aber schnell in den Schrein. Angeblich an dieser Stelle bereits im 6. Jahrhundert ein Schrein errichtet, seinen aktuellen Grundriss soll er seit dem 12. Jahrhundert haben. Er gehört zu den berühmtesten Schreinen Japans und ist UNESCO-Weltkulturerbe. Hauptsächlich aber vermutlich aufgrund des berühmten, roten Torii. Wer jemals ein Bild eines asiatischen, roten Tores im Meer gesehen hat, hat ziemlich sicher das Torii von Miyajima gesehen.
Der Schrein zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er auf Pfählen (bei Flut) im Meer steht. Ansonsten ist er einigermaßen unspektakulär. So läuft man über die überdachten Stege und bekommt einige spektakulären Perspektiven auf Insel, Pagode und natürlich das Torii. Und am Ausgang gibt es noch einen Goshuin. Sicherlich nicht die tollste Attraktion der Welt, aber schon okay.
Nun hatte ich alles gesehen, was ich hier sehen wollte. Und es wurde langsam dunkel. Also ging es am Strand entlang zurück zum Bootsanleger, während hinter mir die Sonne unterging. Ein passendes Finale für einen tollen Inselausflug.
Zurück auf dem Festland war es dann vollständig dunkel. Aber auf dem Weg zurück zum Hotel könnte ich noch ohne allzu großen Umweg an der Burg von Hiroshima vorbei schauen. Warum denn nicht? Erstmal ging es aber wieder am Friedensdenkmal vorbei. Und das ist abends wirklich schön beleuchtet.
Laut Google Maps ist es von hier relativ einfach, zu Fuß zur Burg zu gelangen. Allerdings vermutlich nur, wenn man sich in dem etwas seltsamen Gewirr an Wegen im Park und diversen Unterführungen auskennt. Gleich mehrere Male bin ich vermutlich irgendwo nicht ganz richtig abgebogen und landete in Industrieanlagen oder völlig finsteren Parks.
Als ich schon begonnen hatte, an Kapitulation zu denken, war sie dann da: Die ebenfalls toll beleuchtete Burg von Hiroshima. Wirklich schön.
Da hier mittlerweile total tote Hose war, die Burg mir aber wirklich gut gefallen hatte, plante ich, am nächsten Morgen auf dem Weg zum Bahnhof nochmal einen kurzen Abstecher zur Burg zu machen. Ist schon prima, ohne Koffer reisen zu können. Für den heutigen Tag war es aber nun tatsächlich genug. Da ich mittlerweile wieder etwas nervigen Husten bekommen hatte und der Tag mit all den erschütternden und bildschönen Eindrücken sowie dem Herumgelaufe ziemlich anstrengend war, gab es heute auch mal Abendessen (und Hustenbonbons) aus dem Conbini neben dem Hotel, das ich gemütlich im Bett gegessen habe. Morgen (also im nächsten Beitrag) nochmal zur Burg von Hiroshima und dann mit dem Shinkansen nach Nagasaki, der zweiten Stadt, der eine Atombombe auf den Kopf gefallen ist.
Die Geschichte von Tsutomu Yamaguchi
Bevor es die übrigen Bilder vom Tag gibt: Die Fahrt von Hiroshima nach Nagasaki ist mit einer, hm, üblen, aber auch ein bisschen bitterböse witzigen Geschichte verknüpft. Es ist die Geschichte von Tsutomu Yamaguchi. Yamaguchi war ein Konstruktionszeichner bei Mitsubishi, wurde geboren 1916 geboren und starb 2010 im Alter von stolzen 93 Jahren. Was ja erstmal noch keine besonders außergewöhnliche Geschichte ist. Die Geschichte geht so: Yamaguchi arbeitete am Tag des Atombombenabwurfes in Hiroshima. Als die Bombe fiel, ging er am Fluss spazieren und sah nach eigenen Angaben den Bomber und die Bombe. Dann riss ihn die Explosion um, ließ seine Trommelfelle platzen, machte ihn kurzzeitig blind und hinterließ böse Verbrennungen. Er wurde versorgt und versuchte, sich möglichst schnell zu erholen. Schließlich war die ganze Stadt zerstört und er wollte so schnell wie möglich zurück in seine Heimatstadt - Nagasaki. Und man kann sich nun schon denken, was passierte: Wenige Tage vor dem Bombenabwurf auf Nagasaki war er tatsächlich zurück in seiner Heimat. Und während er gerade seinen Arbeitskollegen von der Explosion in Hiroshima berichtete, fiel die Bombe auf Nagasaki. Dieses Mal war er jedoch drei Kilometer von der Explosion entfernt und wurde nicht ernsthaft verletzt. In den Wochen danach hatte er trotzdem schlimme Tage, seine Wunden entzündeten sich und er musste sich regelmäßig übergeben. Große Teile seines Lebens war er beeinträchtigt von den Verletzungen, war aber knallharter Klischee-Japaner und klagte nie darüber. Er wurde allerdings wenig überraschend eine lautstarke Stimme für die vollständige Verbannung und Verurteilung von Atombombenblödsinn. Was ein harter, guter Typ.
Und jetzt die Bilder.
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